Petitionen 2012 – zwischen Stimmungsbild und Willensbekundung

4. Januar 2013 - Transparenz

Gastbeitrag von Kilian Froitzhuber, erschienen im Jahrbuch Netzpolitik 2012. Lesen Sie auch unseren Kommentar zum Artikel.

In der Einführung in das Petitionsrecht auf den Seiten des Bundestags wird die Geschichte der Petition mit der Untertanenbitte unter Caesar begonnen und mit der Einführung der ePetition im Jahr 2005 abgeschlossen. Doch auch 2012 wurde sie fortgeschrieben. Ein Rückblick auf Verbesserungen, Enttäuschungen und Erfolge.

 

1. Veränderungen im Petitionsrecht des deutschen Bundestags

War 2012 für das Partizipationsinstrument Petition ein gutes Jahr? Schwer zu sagen. Es begann auf jeden Fall gut: Die Regelungen für ePetionenen beim Deutschen Bundestag wurden zum 1. Januar 2012 übersichtlicher. Zuvor hatten zwei unterschiedliche Fristen für Verwirrung gesorgt: Eine Drei-Wochen-Frist, die bei Erreichen von 50.000 Signaturen verbindlich zu einer öffentlichen Sitzung mit der Petentin führte, und eine Sechs-Wochen-Frist, bei der man in der zweiten Hälfte die Möglichkeit hatte, den Zähler zu erhöhen ohne dass damit irgendein Mechanismus verbunden gewesen wäre. Ersetzt wurde diese Regelung von einer Vier-Wochen-Frist. Innerhalb dieser Zeit sammelt man im besten Fall mindestens 50.000 Stimmen und bekommt dafür wie gehabt eine öffentliche Sitzung im Petitionsausschuss. Die zweite größere Neuerung wurde im September des Jahres eingeführt: Die Möglichkeit, pseudonym gegenüber der Öffentlichkeit zu zeichnen.

2. Netzpolitik-Petitionen

Jede Menge Petitionsverfahren mit Netzpolitik-Bezug wurden im Verlauf des Jahres beendet. Das ist jedes mal schön, weil dabei eine mal mehr, mal weniger ausführliche Begründung für die Bestätigung oder Ablehnung des Anliegens gegeben wird. Der Abschluss des Verfahrens ist allerdings keine sonderlich öffentlichkeitswirksame Aktion. So wurde beispielsweise am 8. November 2012 Franziska Heines Internetsperren-Petition abschließend beraten, mit dem Ergebnis, dass der Petentin zuzustimmen sei. Zweieinhalb Jahre nach der öffentlichen Anhörung und ein Jahr nach Aufhebung des Zugangserschwerungsgesetzes heißt es in der Begründung des Petitionsausschusses: „Dem Anliegen der Petition ist damit entsprochen wurden [sic!]. Der Petitionsausschuss empfiehlt daher, das Petitionsverfahren abzuschließen, weil dem Anliegen entsprochen werden konnte.“ Dass das niemanden mehr interessiert hat, ist also durchaus verständlich, der politische Prozess und der öffentliche Diskurs waren zu diesem Zeitpunkt schon längst abgeschlossen.

Diverse weitere Petitionsverfahren, die teils schon vor mehreren Jahren begonnen worden waren, fanden in den letzten 12 Monaten ihren offiziellen Abschluss, ohne dass ihnen während der Zeichnungsfrist oder anschließend besondere mediale Aufmerksamkeit zuteil geworden wäre und ohne dass sie jemals in die Nähe von 50.000 Unterschriften gekommen wären. Unter den für den netzpolitischen Diskurs interessanten Fällen findet man unter anderem diese:

  • Einer Petition, die den Verkauf von eMail-Adressen verbieten lassen wollte, wurde teilweise entsprochen, weil die geltende Rechtslage ohnehin schon sachgerecht sei.
  • Einem Petenten, der forderte, dass zum Schutz vor Trojanern und Keyloggern nur Personalausweis-Lesegeräte mit Tastatur zum Einsatz kommen sollten, wurde nicht entsprochen, weil das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) anderer Meinung war.
  • Ein Transparenzgebot im Grundgesetz wurde als überflüssig angesehen, da der bestehende Rechtsrahmen ohnehin schon für Transparenz sorge.
  • Eben sowenig braucht es laut Petitionsausschuss im Grundgesetz ein ausdrückliches Grundrecht auf Datenschutz und informationelle Selbstbestimmung, da das Grundgesetz „darunter leiden könnte, wenn bereits geltendes materielles Verfassungsrecht nochmals ausdrücklich in den Verfassungstext aufgenommen wird. Zudem würde mit der Schaffung eines Grundrechts auf Datenschutz nur ein Teilbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ausdrücklich hervorgehoben, während andere ähnlich gewichtige Inhalte unerwähnt blieben.“
  • Netzneutralität sei tatsächlich ein wichtiges Thema, und dank Breitbandausbau, einem funktionierenden Markt und bereits bestehender Interventionsmöglichkeiten der Bundesregierung bei Verstößen auf einem guten Weg.
  • RFID-Chips müssen laut Petitionsausschuss nicht verboten werden, weil sie laut BSI und „Wissenschaftlern aus Hochschulen“ sicher seien.

Man erkennt ein Muster: Es handelt sich in der Regel um die Feststellung, dass der Status quo ganz in Ordnung sei. Sogar die Weiterleitung des Anliegens an zuständige Stellen zwecks Kenntnisnahme und weiterer Beschäftigung wird, obwohl (oder auch weil) von Oppositionsparteien des Öfteren vorgeschlagen, nur in absoluten Ausnahmefällen durchgeführt.

Bei einigen anderen, deutlich häufiger signierten Petitionen wird es noch ein bisschen dauern, bis das Abschlussdokument den Weg in das Parlamentsdokumentensystem finden wird. So wurde, mehr als ein Jahr nach Erreichen des Quorums, die öffentliche Anhörung zur von über 60.000 Personen unterstützten Petition gegen die anlasslose Vorratsdatenspeicherung im Oktober abgehalten.

Zu diesem Thema wurde das Mittel der Petition auch in anderen Ländern genutzt und fand breiten Anklang: Auch in Großbritannien und Österreich können viele Menschen nicht nachvollziehen, warum sie unter Generalverdacht stehen, und entsprechende Petitionen hatten extreme Signaturzahlen. Während die Ausschuss-Sitzungen im deutschen Bundestag vergleichsweise ausführlich sind, ist das in Österreich eher nicht der Fall, wie Andreas Krisch, Obmann des AK Vorrat ausführte: „Im Schnitt stehen dem Ausschuss dafür durchschnittlich 4,6 Minuten zur Verfügung.“ Da kann man in Deutschland ja froh sein, im Petitionsausschuss auch mal ausreden zu können. Schneller als bei der Vorratsdatenspeicherung ging der Prozess zur ACTA-Petition: Im März gestartet, über 60.000 Unterschriften gesammelt und im Mai schon verhandelt. Der überzeugende Auftritt von Petent Herbert Bredthauer vor dem Petitionsausschuss war ein weiterer Sargnagel für den Versuch, mit ACTA das in der bestehenden Form nicht mehr zeitgemäße Urheberrecht durch ein internationales Handelsabkommen zu zementieren. Insgesamt ist das bestehende Urheberrecht kein Freund der direkten Bürgermitsprache: Auch die GEMA bekam auf diesem Weg einen mit; die erfolgreiche Petition zur Abschaffung der GEMA-Vermutung befindet sich seit Oktober in der Prüfung. Dabei hatte die Verwertungsgesellschaft noch Glück: Die rapide Zuwachsrate in der Verlaufskurve der Mitzeichnungszahl gegen Ende der Zeichnungsfrist hätte hochgerechnet bei einer Verlängerung der Frist um einige weitere Tage einige Millionen Stimmen bedeutet. Aber die 62.842 reichten ja auch.

Nicht gereicht hat den meisten BeobachterInnen dagegen bekanntlich die Zahl 21.366. So viele Stimmen kamen gegen das Leistungsschutzrecht zusammen. Größere Teile der deutschen Blogosphäre beschimpften daraufhin das Mittel der Petition an sich als gestrig und abgenutzt. Andere wandten ein, dass die Petition vielleicht gar nicht die Ablehnung gegenüber einem Leistungsschutzrecht für Presseverlage gemessen habe, da viele potentielle UnterzeichnerInnen entweder den Text dumm fanden, mit der Nase des Petenten wenig anfangen konnten oder aus Baumschutzgründen ein Leistungsschutzrecht so lange ertragen wollten, bis die treibenden Kräfte dahinter sich tot geschützt hätten. Andre Meister schrieb damals auf netzpolitik.org: „Das eigentliche Ziel ist die Öffentlichkeit. Das Sichtbarmachen, dass zehntausende Menschen mit ihrem Namen für (oder gegen) ein Anliegen einstehen. Und das hat die Petition geschafft. Auch wenn noch mehr Unterschriften natürlich noch besser gewesen [wären].“

3. Abseits des Bundestags

Für dieses Ziel, das Sichtbarmachen, ist es logischerweise nicht relevant, ob die Petition auf dem Server eines Parlaments gestartet wird oder auf einer unabhängigen Plattform. Einige Initiativen waren bei der Herstellung von Öffentlichkeit überaus erfolgreich. Die meisten und seltsamsten Petitionen dieser Art dürfte es rund um Warlord Joseph Kony gegeben haben. Wir erinnern uns: Die Organisation Invisible Children produzierte einen Film, der sich rasend schnell verbreitete und zur Folge hatte, dass Justin Bieber, Kim Kardashian und die Bewohner von Facebook eine militärische Intervention irgendwo in Afrika forderten, um den bösesten Menschen der Welt zu fangen. Von 3,7 Millionen gesammelten großen Indianerehrenwörtern abgesehen wurde auf Plattformen wie change.org, gopetition.com, ipetitions.com, thepetitionsite.com und SignOn.org unter anderem gefordert, dass Invisible Children Joseph Kony fangen und das People Magazine ihn als Coverboy verwenden solle. Kanadas Premierminister Harper wurde von 4413 Personen aufgefordert, sich den Film anzuschauen, und auch Barack Obama wurde nochmals per Petition informiert (auch wenn diese, von Fehlinformationen abgesehen, für ihn nichts Neues geboten haben dürfte, wenn man sich beispielsweise sein Schreiben aus dem Oktober 2011 zum Thema ansieht20. Ärgerlicherweise macht das Petitionssystem des Weißen Hauses ältere Petitionen sowie die Reaktionen darauf übrigens unzugänglich). Auch Facebook wurde in diesem Zusammenhang als Petitionsplattform verwendet. facebook.com/MakeJosephKonyFamouse beispielsweise „ is a petition demanding the goverment to do somthing about Joseph Kony […] EACH „LIKE“ COUNTS FOR 1 SIGNATURE SO PLEASE SHARE BECAUSE YOU CANN MAKE A DIFFRENCE“ Immerhin 157 Personen machten mit. Das Anliegen, Joseph Kony per Petition berühmt zu machen, war insgesamt das häufigste Motiv hinter den unzähligen Petitionen. Zumindest das hat alles in allem ja auch ganz gut geklappt, auch wenn die Halbwertzeit in der Social-Media-Bilderflut nicht allzu hoch sein dürfte.

Dass ein geschickt gemachtes Video wie im Fall Kony sich extrem auf die Aufmerksamkeit für Petitionen auswirken kann, bestätigt auch Jörg Mitzlaff, Geschäftsführer von openPetition.de: Einige der erfolgreichsten Petitionen des Portals hätten viel Zulauf von YouTube aus bekommen. Nicht immer wird auf diese Weise Sinnvolles unterstützt, wie das Anonymous-Video gegen die Hetz-Seite kreuz.net zeigte, das zur Unterzeichnung einer eher skurrilen Petition aufrief: „Offenbar war eine starke emotionale Aufladung der Petition ein wichtiger Faktor für die vielen Unterschriften: Die Kommentare und die Debatte war extrem emotional, auch das YouTube-Video nutzte dramatische Musik und Optik. Ins Bild passt in dem Zusammenhang, dass die UnterzeicherInnen sich offenbar nicht daran störten, dass es keine Forderung gab und die Adressaten „Regierungen Europaweit“ ungeeignet waren, denn die Seite ist deutschsprachig, die Server stehen anscheinend außerhalb Europas – darauf wurde in der Debatte auch mehrfach hingewiesen. Damit ist die Petition mehr ein Stimmungsbild als eine politische Willensbekundung,“ so Mitzlaff.

OpenPetition ist neben change.org die wohl wichtigste nichtstaatliche Petitionsplattform im deutschsprachigen Raum und konnte mit der Unterschriftenaktion gegen die GEMA-Tarifreform die meistgezeichnete Petition des Jahres in Deutschland verzeichnen: Über 300.000 Personen beteiligten sich. Doch nicht nur für die großen bundesweiten, sondern auch und gerade lokale und regionale Anliegen sollen durch das Mittel der Petition vorangebracht werden. Fast 5000 BürgerInnen unterschrieben beispielsweise gegen die Abschiebung von Kenesa Guluma – der Petitionsausschuss des Bayrischen Landtags setzte daraufhin die Abschiebung aus.

Die Einsatzmöglichkeiten von Petitionen sind vielschichtig. Von einzelnen enttäuschten Erwartungen sollte man sich auch 2013 nicht entmutigen lassen, wenn es darum geht, wichtigen Anliegen aus der Zivilgesellschaft heraus mehr Gewicht zu geben. Dass man sich dabei im besten Fall zusammen mit Gleichgesinnten abspricht und einen geeigneten Zeitpunkt für das Anliegen abpasst, sollte sich von selbst verstehen.

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