Arbeitslosengeld II - Abschaffung der Sanktionen und Leistungseinschränkungen (SGB II und SGB XII)

Petent/in nicht öffentlich
Petition richtet sich an
Deutschen Bundestag
55.271 Unterstützende 55.271 in Deutschland

Der Petition wurde nicht entsprochen

55.271 Unterstützende 55.271 in Deutschland

Der Petition wurde nicht entsprochen

  1. Gestartet 2013
  2. Sammlung beendet
  3. Eingereicht
  4. Dialog
  5. Beendet

Dies ist eine Online-Petition des Deutschen Bundestags.

29.08.2017, 16:57

Pet 4-18-11-81503-001721Arbeitslosengeld II
Der Deutsche Bundestag hat die Petition am 29.04.2016 abschließend beraten und
beschlossen:
Das Petitionsverfahren abzuschließen, weil dem Anliegen nicht entsprochen werden
konnte.
Begründung
Mit der Petition wird gefordert, die Normen im Zweiten Buch Sozialgesetzbuch und im
Zwölften Buch Sozialgesetzbuch ersatzlos zu streichen, die die Möglichkeit von
Sanktionen bzw. Leistungseinschränkungen vorsehen.
Zur Begründung wird im Wesentlichen vorgetragen, die in den §§ 31, 32 Zweites Buch
Sozialgesetzbuch (SGB II) vorgesehenen Sanktionen und die in § 39a Zwölftes Buch
Sozialgesetzbuch (SGB XII) geregelten Leistungseinschränkungen verletzten das
Recht auf die Absicherung des zwingend gesetzlich festgelegten soziokulturellen
Existenzminimums. Werde ganz oder teilweise die Grundsicherungsleistung
gestrichen, so sei die Existenz und gesellschaftliche Teilhabe bedroht. In der Praxis
bestehe zudem eine große Unsicherheit und eine hohe Fehlerquote bei den
Mitarbeitern der Jobcenter. Dies zeigten auch die vielen eingereichten Klagen, die vor
den Gerichten gewonnen würden.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten zu dem Vorbringen wird auf die umfangreichen
eingereichten Unterlagen verwiesen.
Zu diesem Thema liegen dem Petitionsausschuss mehrere Eingaben mit verwandter
Zielsetzung vor, die wegen des Sachzusammenhangs einer gemeinsamen
parlamentarischen Prüfung unterzogen werden. Es wird um Verständnis gebeten,
dass nicht auf alle der vorgetragenen Aspekte im Einzelnen eingegangen werden
kann.
Die Eingabe wurde als öffentliche Petition auf der Internetsete des Deutschen
Bundestages eingestellt und dort diskutiert. Sie wurde von 55.271 Mitzeichnern online,

34.515 Mitzeichnern per Post oder Fax unterstützt, und es gingen
1.999 Diskussionsbeiträge ein.
Am 17. März 2014 wurde die Petition in einer öffentlichen Sitzung beraten.
Der Petitionsausschuss hat der Bundesregierung Gelegenheit gegeben, ihre Haltung
zu der Eingabe darzulegen. Zudem hat der Petitionsausschuss nach
§ 109 Absatz 1 Satz 2 der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages eine
Stellungnahme des Ausschusses für Arbeit und Soziales eingeholt. Das Ergebnis der
parlamentarischen Prüfung lässt sich unter anderem unter Einbeziehung der seitens
der Bundesregierung angeführten Aspekte wie folgt zusammenfassen:
Das Arbeitslosengeld II (Alg II) als passive Leistung des Systems der Grundsicherung
für Arbeitsuchende nach dem SGB II ist eine aus Steuermitteln finanzierte reine
Fürsorgeleistung zur Sicherung des Lebensunterhaltes erwerbsfähiger
Hilfebedürftiger und der mit ihnen in Bedarfsgemeinschaft zusammenlebenden
Angehörigen. Mit ihr wird der Staat seiner Verpflichtung gerecht, die
Mindestvoraussetzungen für ein menschenwürdiges Dasein (Existenzminimum) zu
schaffen (Artikel 1, 20 Absatz 1 Grundgesetz [GG]). Die Hilfe nach dem SGB II ist
grundsätzlich nachrangig. Höhere Leistungen als die für die Sicherung des
Existenzminimums Notwendigen zu gewähren, wäre mit den Grundsätzen eines aus
Steuermitteln finanzierten Fürsorgesystems nicht vereinbar.
Es ist dabei das vorrangige Ziel der Grundsicherung für Arbeitsuchende, dazu
beizutragen, dass erwerbsfähige Hilfebedürftige ihren Lebensunterhalt unabhängig
von der Grundsicherung aus eigenen Mitteln und Kräften bestreiten können (§ 1
SGB II). Dieser Personenkreis soll in seiner Eigenverantwortung gestärkt werden und
muss alle Möglichkeiten zur Beendigung oder Verringerung der Hilfebedürftigkeit
ausschöpfen (§ 2 Absatz 1 SGB II). Hilfebedürftig ist, wer seinen Lebensunterhalt
nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Mitteln, vor allem nicht aus dem zu
berücksichtigenden Einkommen und Vermögen sichern kann (§ 9 SGB II). Zur
Sicherung seines Lebensunterhalts hat ein erwerbsfähiger Hilfsbedürftiger
insbesondere seine Arbeitskraft einzusetzen. Nach den Grundsätzen der
Nachrangigkeit und von „Fördern und Fordern“ besteht die Verpflichtung des
erwerbsfähigen Hilfebedürftigen zur Aufnahme einer Erwerbstätigkeit. Hierbei ist dem
erwerbsfähigen Hilfebedürftigen jede Arbeit zuzumuten, es sei denn, einer der in § 10
Absatz 1 Nr. 1 bis 5 SGB II vorgesehenen Ausnahmetatbestände liegt vor.

Hinsichtlich einer Weigerung, zumutbare Arbeit zu leisten, hat die Rechtsprechung in
diesem Zusammenhang festgestellt, dass die hieraus resultierenden Sanktionen nach
dem SGB II weder gegen das internationale Übereinkommen über Zwangs- und
Pflichtarbeit vom 1. Juni 1956 noch gegen das Verbot des Arbeitszwangs in Artikel 12
Absatz 2 GG und das Verbot der Zwangsarbeit in Artikel 12 Absatz 3 GG verstoßen.
Auch weitere Grundrechtsverstöße wurden nicht festgestellt.
Vom Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) wurde hierzu hervorgehoben, dass die
Inanspruchnahme der Freiheit, eine zumutbare Arbeit abzulehnen, ohne Rücksicht auf
die Gemeinschaft ein Missbrauch ist, der wegen der Sozialbindung der Grundrechte
keinen Grundrechtsschutz genießt (vgl. BVerwG vom 23. Februar 1979, Az.: 5 B
114/78).
Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) ist in seiner Entscheidung vom
9. Februar 2010 zur Bestimmung der Regelleistungen auf die Sanktionsvorschriften
nicht unmittelbar eingegangen. Es hat aber einen gesetzgeberischen
Gestaltungsspielraum anerkannt, der umso weiter ist, je weniger es um das für die
Existenz des Menschen Erforderliche und je mehr es um gesellschaftliche Teilhabe
geht. Überdies hat es das BVerfG dem Gesetzgeber freigestellt, ob er den Bedarf über
Geld-, Sach- oder Dienstleistungen decken will.
Anlässlich der Entscheidung des BVerfG vom 9. Februar 2010 beriet das Plenum des
Deutschen Bundestages über den Gesetzesentwurf zur Ermittlung von Regelbedarfen
und zur Änderung des SGB II und SGB XII. Das Gesetz trat am 24. März 2011
rückwirkend zum 1. Januar 2011 in Kraft. Es enthielt auch kleinere Änderungen bei
den Sanktionen:
§ 31 SGB II regelt nunmehr die Pflichtverletzungen, § 31a SGB II deren Rechtsfolgen
und § 31b SGB II Beginn und Dauer der Leistungsminderung. Die Sanktionierung von
Meldeversäumnissen ist in § 32 SGB II geregelt. Der Sanktionstatbestand des
verweigerten Abschlusses einer Eingliederungsvereinbarung ist weggefallen und die
Rechtsfolgenbelehrung ist schriftlich zu erteilen. Die Sanktionierung ist nur innerhalb
von sechs Monaten nach der Pflichtverletzung zulässig.
Das Alg II wird aus Steuermitteln finanziert. Die Gemeinschaft hat ein legitimes
Interesse an einer raschen Beendigung der Hilfebedürftigkeit im jeweiligen Einzelfall.
Eingliederungshilfen sind zu optimieren, aber auch eine konsequente Eigeninitiative
und aktive Mitwirkung der Arbeitsuchenden selbst ist einzufordern.

Hieran anknüpfend werden mit den in den §§ 31 ff. SGB II getroffenen
Sanktionsregelungen die Folgen einer unberechtigten Verweigerung zumutbarer
Arbeit oder der Verletzung anderer Pflichten durch den erwerbsfähigen
Hilfebedürftigen festgelegt. Die in § 31a SGB II stufenweise festgelegten Sanktionen
treten nur ein, wenn der erwerbsfähige Hilfebedürftige keinen wichtigen Grund für sein
Verhalten nachweist (§ 31 Absatz 1 Satz 2 SGB II), wobei der individuelle Grund des
Hilfebedürftigen im Verhältnis zu den Interessen der Allgemeinheit, die die Leistungen
an ihn und die Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft aus Steuermitteln erbringt, stets
besonderes Gewicht haben muss.
In der Grundsicherung für Arbeitsuchende ist zudem auch bei der Verhängung von
Sanktionen sichergestellt, dass erwerbsfähige Hilfebedürftige immer ein Mindestmaß
an Hilfe bekommen. Dieses besteht darin, dass der Träger der Grundsicherung bei
einer Kürzung um mehr als 30 vom Hundert der nach § 20 SGB II maßgebenden
Regelleistung in angemessenem Umfang ergänzend Sachleistungen oder geldwerte
Leistungen erbringen kann (§ 31a Absatz 3 SGB II). Diese Regelung wird gemäß
Artikel 1 und Artikel 2 Absatz 2 Satz 1 GG verpflichtend, sobald dem Hilfebedürftigen
das zum Lebensunterhalt Unerlässliche fehlt. Dies betrifft insbesondere die Nahrung,
die Kleidung, die Unterkunft und die Heizung. Das Ermessen ist in diesen Fällen auf
Null reduziert. Gemäß Artikel 20 GG ist die Verwaltung an Recht und Gesetz
gebunden.
Die verschärfte Sanktionierung mit einer Kürzung des Alg II tritt erst bei wiederholter
Pflichtverletzung innerhalb eines Jahres ein, also nur in Fällen, in denen sich der
Hilfebedürftige beharrlich weigert, seinen Pflichten nachzukommen. Darüber hinaus
hat es der erwerbsfähige Hilfebedürftige selbst in der Hand, einen vollständigen
Wegfall des Alg II durch nachträglich gezeigte Bereitschaft, seine vereinbarten
Pflichten zu erfüllen, zu beseitigen.
Der Petitionsausschuss betont in diesem Zusammenhang, dass bereits das ehemalige
Recht der Sozialhilfe – in Kraft bis zum 31. Dezember 2004 – Sanktionen als Folge
einer Weigerung der Aufnahme einer zumutbaren Arbeit oder Arbeitsgelegenheit
kannte. Eine grundlose Weigerung des Hilfebedürftigen, im öffentlichen Interesse
liegende, zusätzliche Arbeiten zu verrichten, hatte danach den Verlust der Hilfe zur
Folge (§ 18 Absatz 2 Satz 2, § 19 Absatz 2, § 25 Absatz 1 Bundessozialhilfegesetz -
BSHG, nunmehr neu § 39a Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch - SGB XII). Das BVerwG
hatte seinerzeit für die Sozialhilfe entschieden, dass nicht gegen die Verfassung
verstoßen wird, „wenn die Leistung von Sozialhilfe von der Leistung zumutbarer Arbeit

seitens des Hilfesuchenden abhängig gemacht“ wird (so BVerwG Buchholz 436.0 § 19
BSHG Nr. 1). Die Regelung verstieß weder gegen das Verbot des Arbeitszwangs
(Artikel 12 Absatz 2 GG) noch der Zwangsarbeit (Artikel 12 Absatz 3 GG). Soweit die
Minderung der Sozialhilfe einen „Zwang" zur Arbeitsaufnahme bewirkte, war dieser
von dem das Sozialhilferecht beherrschenden Grundsatz des Nachrangs der
Sozialhilfe ausgegangen. Das BVerwG hatte betont, dass jedermann nach Maßgabe
seiner Kräfte wenigstens dann zur Beschaffung seines notwendigen Lebensunterhalts
arbeiten müsse, wenn er andernfalls der Allgemeinheit zur Last fiele.
Für Pflichtverletzungen in der Hilfe zum Lebensunterhalt sowie der Grundsicherung im
Alter und bei Erwerbsminderung nach § 39a SGB XII liegen gänzlich andere
Voraussetzungen als in der Grundsicherung für Arbeitsuchende vor. § 39a SGB XII
setzt zwar vergleichbar zum SGB II voraus, dass die Leistungsberechtigten entgegen
ihrer Verpflichtung die Aufnahme einer Tätigkeit oder die Teilnahme an einer
erforderlichen Vorbereitung ablehnen. Solche Pflichtverletzungen können aber nur im
Zusammenhang mit den aktivierenden Maßnahmen nach § 11 Absatz 3 Satz 1 bis 4
und Absatz 4 SGB XII entstehen.
Eine Verpflichtung zur Aufnahme einer Tätigkeit und zur Teilnahme an einer hierfür
erforderlichen Vorbereitung besteht nach § 11 SGB XII nur dann, wenn dadurch
Einkommen erzielt werden kann. Diese Voraussetzung stellt jedoch eine
Ausnahmekonstellation dar. Bei Leistungsberechtigten in der Hilfe zum
Lebensunterhalt sowie der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung
handelt es sich um zeitlich befristet oder dauerhaft voll erwerbsgeminderte Personen.
Deshalb zielt eine Aktivierung nicht vorrangig auf die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit,
sondern allgemein auf eine Betätigung ab. Einkommenserzielung steht bei
Leistungsberechtigten nach dem SGB XII nicht im Vordergrund. Stattdessen soll durch
die aktivierenden Maßnahmen in erster Linie eine aktive Teilnahme am Leben in der
Gemeinschaft ermöglicht werden sowie die Erhaltung und - soweit im Einzelfall
möglich - auch die Steigerung der gesundheitlichen Leistungsfähigkeit. Deshalb
machen die Sozialhilfeträger von dem durch § 11 SGB XII zur Verfügung gestellten
Instrumentarium nur in Ausnahmefällen Gebrauch. Dies erfolgt im Regelfall im
Einvernehmen mit einer leistungsberechtigten Person, weshalb davon auszugehen ist,
dass es nur äußerst selten zu Pflichtverletzungen kommt und deshalb auch
Leistungseinschränkungen nach § 39a SGB XII in der Praxis keine nennenswerte
Bedeutung zukommt.

Der Ausschuss stellt fest, dass die Sanktionsregelungen so gestaltet sind, dass
Hilfeempfängern auch während der Dauer einer Sanktion das zum Leben
Unerlässliche zur Verfügung steht. Soweit mit der Petition die Verfassungsmäßigkeit
der Sanktionsregelungen bezweifelt wird, ist nach einer umfangreichen Prüfung des
mit der Petition eingebrachten Gutachtens im Ergebnis fest zu halten, dass den
Ausführungen nicht gefolgt werden kann. Mit den Sanktionen wird weder gegen das
Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus
Artikel 1 Absatz 1 GG in Verbindung mit Artikel 20 Absatz 1 GG, noch gegen das Recht
auf Leben und körperliche Unversehrtheit nach Artikel 2 Absatz 2 Satz 1 GG, oder
gegen die Berufsfreiheit aus Artikel 12 Absatz 1 GG, beziehungsweise gegen den
Gleichbehandlungsgrundsatz nach Artikel 3 Absatz 1 GG verstoßen.
Allerdings wurde zwischenzeitlich die weitgehende Sanktionierungsregelung und -
praxis im SGB II für unter 25jährige auf ihre Wirkung und möglichen Anpassungsbedarf
hin überprüft. Die Ministerinnen und Minister, Senatorinnen und Senatoren für Arbeit
und Soziales der Länder hatten am 11. August 2014 den Bund gebeten, die in der
Arbeitsgruppe „Rechtsvereinfachung im SGB II" konsentierten Änderungsvorschläge
zeitnah in ein Gesetzgebungsverfahren zu überführen. Zu diesen Vorschlägen zählten
auch solche im Sanktionsrecht. In diesem Zusammenhang hat das Bundesministerium
für Arbeit und Soziales (BMAS) am 10. September 2014 ein Gespräch mit
Vertreterinnen und Vertretern der Regierungsfraktionen durchgeführt, in dem unter
Einbeziehung der Expertise von Praktikern das Thema „Weiterentwicklung des
Sanktionsrechts" erörtert wurde. Im Ergebnis wurde nunmehr der Entwurf eines
Neunten Gesetzes zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch –
Rechtsvereinfachung (BR-Drucksache 66/16) dem Bundesrat zugeleitet, in dem
jedoch von Vorschlägen zur Änderung bei den Sanktionsregelungen abgesehen
wurde.
Der Petitionsausschuss empfiehlt daher aus den dargestellten Gründen, das
Petitionsverfahren abzuschließen, weil dem Anliegen nicht entsprochen werden
konnte.
Der von den Fraktionen DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gestellte Antrag,
die Petition der Bundesregierung zur Berücksichtigung zu überweisen und sie den
Fraktionen des Deutschen Bundestages zur Kenntnis zu geben, ist mehrheitlich
abgelehnt worden.

Begründung (PDF)


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