Deutscher Bundestag - Verbot von Probeabstimmungen und Fraktionszwang

Petent/in nicht öffentlich
Petition richtet sich an
Deutschen Bundestag
2.529 Unterstützende 0 in Deutschland

Der Petition wurde nicht entsprochen

2.529 Unterstützende 0 in Deutschland

Der Petition wurde nicht entsprochen

  1. Gestartet 2010
  2. Sammlung beendet
  3. Eingereicht
  4. Dialog
  5. Beendet

Dies ist eine Online-Petition des Deutschen Bundestags.

08.06.2017, 13:01

Wolfgang Rogalski

Deutscher Bundestag

Der Deutsche Bundestag hat die Petition am 11.11.2010 abschließend beraten und
beschlossen:

Das Petitionsverfahren abzuschließen, weil dem Anliegen nicht entsprochen werden
konnte.

Begründung

Der Petent fordert die Abschaffung von Probeabstimmungen und des Fraktions-
zwangs.

Zur Begründung wird ausgeführt, in Artikel 38 Abs. 1 Grundgesetz (GG) sei Folgen-
des ausgeführt: "Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages werden in allge-
meiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl gewählt. Sie sind Vertreter
des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem
Gewissen unterworfen". Diese Vorgabe müsse im parlamentarischen Betrieb Gültig-
keit erlangen. Probeabstimmungen in den Fraktionen stünden im Kontext einer
erzwungenen Fraktionsdisziplin bzw. eines faktischen Fraktionszwanges, der Arti-
kel 38 Abs. 1 GG widerspreche. Vor diesem Hintergrund sei
es geboten, die
Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages dahingehend zu ergänzen, dass
keine Verfahrensweise im parlamentarischen Betrieb Artikel 38 Abs. 1 GG wider-
sprechen dürfe bzw. dessen Geist aushöhlen dürfe. Hieraus ergebe sich, dass Pro-
beabstimmungen in Gruppen und Fraktionen sowie jede Form des Gruppen- bzw.
Fraktionszwangs untersagt werden.

Zu den Einzelheiten des Vortrages des Petenten wird auf die von ihm eingereichten
Unterlagen verwiesen.

Die Eingabe war als öffentliche Petition auf der Internet-Seite des Deutschen Bun-
destages eingestellt. Es gingen 2.529 Mitzeichnungen sowie 147 Diskussions-
beiträge ein.

Das Ergebnis der parlamentarischen Prüfung stellt sich auf der Grundlage einer
Stellungnahme der Bundestagsverwaltung wie folgt dar:

Der Petitionsausschuss stellt zunächst grundlegend fest, dass ein sog. Fraktions-
zwang also jeder rechtliche, psychische oder physische Zwang, welcher Abgeord-
nete in ihrer Entscheidungsfreiheit beeinflussen soll unzulässig ist. Er ist mit dem
verfassungsrechtlichen Status des Abgeordneten unvereinbar. Weiterhin ist festzu-
halten, dass sich der Grundsatz des nach Artikel 38 Abs. 1 Satz 2 GG geschützten
freien Mandats bereits in der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages (GO-
BT) wiederfindet. In § 13 Abs. 1 GO-BT heißt es: "Jedes Mitglied des Bundestages
folgt bei Reden, Handlungen, Abstimmungen und Wahlen seiner Überzeugung und
seinem Gewissen".

Strikt zu trennen vom Fraktionszwang ist der Begriff der Fraktionsdisziplin bzw. der
Fraktionsloyalität. Die Abgeordneten sind bei ihrer Tätigkeit unter anderem dem
Spannungsfeld zweier, scheinbar gegenläufiger Interessen ausgesetzt. Einerseits
sind die Abgeordneten des Deutschen Bundestages nach Artikel 38 Abs. 1 Satz 2
GG "Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und
nur ihrem Gewissen unterworfen". Andererseits erringen sie ihr Mandat maßgeblich
mit der Unterstützung und nach Aufstellung durch eine politische Partei, der sie in
der Regel als Mitglied angehören.

Die politischen Parteien ihrerseits haben ein berechtigtes Interesse daran, dass sie
ihrem Verfassungsauftrag aus Artikel 21 Abs. 1 Satz 1 GG, nämlich an der politi-
schen W illensbildung des Volkes mitzuwirken, möglichst effektiv durch entspre-
chende Abstimmungen im Parlament gerecht werden. Die Fraktion hat vor diesem
Hintergrund die Erwartung, dass sich die Abgeordneten als Angehörige der Fraktion
freiwillig einer Mehrheitsentscheidung, die innerhalb der Fraktion gefunden wurde,
gegenüber loyal erweisen und zum Beispiel ein Gesetzesvorhaben mittragen, auch
wenn sie persönlich das jeweilige Gesetz nicht in allen Punkten befürworten.

Der Petitionsausschuss ruft in diesem Zusammenhang in Erinnerung, dass das Bun-
desverfassungsgericht (BVerfG) hierzu in einer Entscheidung (Urteil vom 21. Juli
2000, 2 BvH 3/91) Folgendes ausgeführt hat:

"Der Abgeordnete bewegt sich zwar in einem Spannungsverhältnis zwischen der
Freiheit des Mandats und einer Einordnung in die Fraktionsdisziplin. Das politische
Eingebundensein des Abgeordneten in Partei und Fraktionen im Bund und in den

Ländern ist jedoch verfassungsrechtlich zulässig; denn das Grundgesetz weist den
Parteien eine besondere Rolle im Prozess der politischen W illensbildung zu (Arti-
kel 21 Abs. 1 GG). Die von den Abgeordneten einer Partei gebildeten Fraktionen
nehmen in diesem Prozess Koordinierungsaufgaben wahr, die angesichts der Viel-
zahl und Vielschichtigkeit der im Parlament zu behandelnden Regelungsbedürfnisse
für die parlamentarische Arbeit unabdingbar sind. Wenn der einzelne Abgeordnete
im Parlament politisch Einfluss nehmen will, bedarf er der Unterstützung seiner
Fraktion".

Das BVerfG hat die Fraktionen als maßgebliche Faktoren der politischen W illens-
bildung bezeichnet. Es hat ausgeführt, die Fraktionen als zentrale Organisations-
einheiten des Parlaments, die unterschiedliche Vorstellungen und Ziele bündelten,
garantierten die parlamentarische Handlungsfähigkeit.

Der Petitionsausschuss weist darauf hin, dass der Abgeordnete seine Freiheit nicht
aufgibt, wenn er sich einer Fraktion anschließt. Fraktionszugehörigkeit, Fraktions-
solidarität und Fraktionsloyalität sind die Voraussetzungen dafür, dass der einzelne
Abgeordnete im Bundestag überhaupt politische W irksamkeit entfalten kann. Dies
kann er nämlich nur, wenn er innerhalb der Fraktion, der er sich angeschlossen hat,
eine Mehrheit für seine Auffassung gewinnt. Der Abgeordnete unterliegt in seiner
Fraktion der "Fremdbestimmung" nur, sofern er sich freiwillig der Mehrheit fügt, an
deren Zustandekommen er wie jeder andere Teil hat. Darin liegt schon begrifflich
keine Einschränkung seiner Mandatsfreiheit (vgl. dazu Klein in Maunz/Düring, Kom-
mentar zum Grundgesetz, Artikel 38 Rn. 203). In jedem Fall bleibt das Abstim-
mungsverhalten des Abgeordneten seine freie Entscheidung. Egal, ob er mit der
Fraktion abstimmt oder eine andere, davon abweichende Entscheidung trifft.

Vor dem Hintergrund des Dargelegten kann der Petitionsausschuss die Notwendig-
keit einer Ergänzung der GO-BT, wie sei der Petent vorschlägt, nicht erkennen. Er
empfiehlt daher, das Petitionsverfahren abzuschließen.


Helfen Sie mit, Bürgerbeteiligung zu stärken. Wir wollen Ihren Anliegen Gehör verschaffen und dabei weiterhin unabhängig bleiben.

Jetzt fördern