06/12/2016 3:22
Pet 1-18-06-26-024813
Aufenthaltsrecht
Der Deutsche Bundestag hat die Petition am 24.11.2016 abschließend beraten und
beschlossen:
Das Petitionsverfahren abzuschließen, weil dem Anliegen nicht entsprochen werden
konnte.
Begründung
Die Petentin fordert angesichts der sich dramatisch verschlechternden Sicherheitslage
im Irak die Aussetzung des Dublin-Verfahrens zum Schutz der Yeziden und Christen
und die Schaffung eines Aufnahmekontingents für diese sowie eine vereinfachte
Familienzusammenführung.
Zur Begründung der Eingabe führt die Petentin aus, dass die Zahl der asylbedürftigen
Yeziden und Christen im Irak aufgrund der eskalierenden Sicherheitslage ansteige.
Misshandlungen, Polizeigewalt, rassistische Übergriffe und Obdachlosigkeit seien für
diese Gruppen zunehmend traurige Realität.
Die Petentin verlangt daher, dass auch betroffene Iraker vom Dublin-Regime
ausgenommen werden müssten, wie dies bei syrischen Asylsuchenden Praxis sei (vgl.
Praxis im September 2015, die heute nicht mehr aktuell ist).
Die Petentin untermauert ihre Forderung weiterhin, dass die kurdische
Regionalregierung die genannten Minderheiten im Stich lasse. Aufgrund der
unmenschlichen Lebensbedingungen und der fehlenden Sicherheit, Bildung für Kinder
und medizinischen Grundversorgung in nordirakischen Zeltlagern sowie um-sich-
greifender Perspektivlosigkeit sei ferner ein humanitäres Aufnahmeprogramm für
yezidische und christliche Flüchtlinge notwendig.
Ferner fordert die Petentin eine vereinfachte Familienzusammenführung.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten zu dem Vorbringen wird auf die von der Petentin
eingereichten Unterlagen verwiesen.
Die Eingabe wurde auf der Internetseite des Deutschen Bundestages eingestellt. Die
Petition wurde von 170 Mitzeichnern online unterstützt. Außerdem gingen hierzu
18 Diskussionsbeiträge ein.
Der Petitionsausschuss hat der Bundesregierung Gelegenheit gegeben, ihre Ansicht
zu der Eingabe darzulegen. Das Ergebnis der parlamentarischen Prüfung lässt sich
unter Einbeziehung der seitens der Bundesregierung angeführten Aspekte wie folgt
zusammenfassen:
Der Ausschuss weist vorab daraufhin, dass zwischen den Gebieten, die regulär unter
der Kontrolle der Kurdischen Regionalregierung (KRG) stehen und den Gebieten, die
von der Terrororganisation IS kontrolliert werden, zu unterscheiden ist. In letzteren
sind Angehörige von religiös-ethnischen Minderheiten verfolgt und in Todesgefahr
oder bereits vertrieben. Seit August 2014 leben keine Angehörigen der genannten
Minderheiten mehr freiwillig in diesen Gebieten. In den KRG-kontrollierten Gebieten ist
zwischen Binnenvertriebenen (IDPs) und ursprünglich hier ansässigen Bewohnern der
genannten Minderheiten zu differenzieren. Viele Angehörige christlicher Gemeinden
aus dem Süd- und Zentralirak haben in den letzten Jahren aufgrund anhaltender
Gewalt in ihren Heimatregionen in der Region Kurdistan-Irak (RKI) Zuflucht gefunden.
Hinzugekommen sind die seit August 2014 vom IS vertriebenen yezidischen und
christlichen IDPs, die zum Teil in Flüchtlingslagern leben. In der RKI sind keine
Verfolgungen aufgrund religiöser oder ethnischer Gründe bekannt. Die aktuelle
finanzielle und wirtschaftliche Situation hat in der RKI, wie auch von der Petentin
vorgetragen, negative Auswirkungen für die Lebensbedingungen der genannten
Minderheiten und ist zusammen mit der teilweise fehlenden Rückkehrperspektive die
primäre Ursache für Migrationsbewegungen aus der Region Kurdistan-Irak hinaus.
Hierbei wird die Zuwanderung nach Deutschland durch das Aufenthaltsgesetz geregelt
und gesteuert. Dabei legt § 1 Absatz 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) fest, an welchen
Maßstäben die Zuwanderung zu messen ist: Entscheidend sind die Aufnahme- und
Integrationsfähigkeit sowie die wirtschaftlichen und arbeitsmarktpolitischen Interessen
der Bundesrepublik sowie die Erfüllung humanitärer Verpflichtungen.
Der Gestaltungsspielraum des Staates ist in den Bereichen, in denen die betroffenen
Personen keinen Anspruch haben, nach Deutschland einzuwandern – auch im Bereich
humanitärer Aufnahmen – sehr weitgehend. Entscheidend ist hier, in welchem
Ausmaß und aufgrund welcher Kriterien schutzbedürftigen Personen eine erleichterte
Zuwanderung ermöglicht werden soll, etwa im Rahmen der Erfüllung humanitärer
Verpflichtungen. Der Gesetzgeber hat sich dazu entschlossen, die Konfession der
Zuwandernden nicht zu einem abstrakten Zuzugskriterium zu erheben.
Die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Konfession kann aber in der Tat im Rahmen
der Wahrnehmung humanitärer Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland eine
Rolle spielen, wenn die Betroffenen aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit verfolgt
sind. Ein wesentlicher Pfeiler der Wahrnehmung dieser Aufgaben ist die
Schutzgewährung im Rahmen eines Asylverfahrens, daneben aber auch durch
humanitäre Aufnahmen, bei denen besonders schutzbedürftige Personen aus dem
Ausland aufgenommen werden.
Als Beispiel dafür lässt sich die Aufnahme von insgesamt 2.501 irakischen Flüchtlingen
aus Syrien und Jordanien in den Jahren 2009 und 2010 auf der Grundlage des § 23
Absatz 4 AufenthG anführen. Diese Aufnahme bezog sich schwerpunktmäßig auf eine
Aufnahme von besonders schutzbedürftigen Christen und Mandäern (etwa 1.700 der
aufgenommenen Personen wurden aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer der beiden
vorgenannten Religionsgemeinschaften in Syrien oder Jordanien verfolgt). Auch im
Rahmen der Aufnahme von 20.000 syrischen Flüchtlingen in den Jahren 2013 bis
2015 wurde – als eines von mehreren Kriterien – auch eine etwaige spezifisch
religionsbezogene Verfolgungssituation von Angehörigen religiöser Minderheiten
berücksichtigt. In diesem Zusammenhang wurden über 20 Prozent Flüchtlinge
aufgenommen, die der christlichen oder yezidischen Minderheit in Syrien angehören.
Aktuell und kontinuierlich nimmt Deutschland im Rahmen von verstetigten
Kontingentaufnahmen im Resettlement-Verfahren (§ 23 Absatz 4 AufenthG)
besonders schutzbedürftige Flüchtlinge in Kooperation mit dem Flüchtlingshilfswerk
der Vereinten Nationen (UNHCR) auf. UNHCR, welches zwar auch im Nordirak Hilfe
für die Binnenvertriebenen leistet, hat jedoch kein Mandat für die Vermittlung von
Aufnahmevorschlägen für Binnenvertriebene, sondern schlägt für das Resettlement
ausschließlich Personen vor, die aus ihrem Heimatland in einen anderen Staat
– zumeist in der Region – geflohen sind. Der Bund berücksichtigt aber im Rahmen
seiner Kontingentaufnahmen im Resettlement-Verfahren – auch um sicherzustellen,
dass die Auswahl die Schutzbedürftigsten trifft – ausschließlich über UNHCR
ausgewählte Flüchtlinge. UNHCR ist langjährig bewährter und kompetenter Partner
bei der Durchführung von humanitären Aufnahmeverfahren.
Der Bund hat ferner seine Zustimmung zum baden-württembergischen humanitären
Aufnahmeverfahren für insbesondere yezidische irakische Frauen, die Opfer sexueller
Gewalt im Rahmen der kriegerischen Auseinandersetzungen im Irak geworden sind,
und sich im Nordirak aufhalten, und deren Kinder erteilt. Über dieses Programm sind
bereits mehr als 1.000 Menschen nach Deutschland gekommen.
Familiäres Zusammenleben ist ein Menschenrecht. Daher gestattet auch das deutsche
Aufenthaltsrecht den Nachzug der Kernfamilie – also von Ehegatten und
minderjährigen ledigen Kindern. Bei Vorliegen einer „außergewöhnlichen Härte“, die
durch die Trennung der Familie verursacht ist, können auch weitere Angehörige im
Einzelfall ausnahmsweise ein Nachzugsrecht erhalten. Aufgrund des grund- und
menschen-rechtlichen Schutzes von Ehe und Familie ist es geboten, den Mitgliedern
der Kernfamilie einen Aufenthalt in Deutschland zu gestatten.
Allerdings dient der Familiennachzug dazu, das Recht auf familiäres Zusammenleben
zu verwirklichen. Es handelt sich gerade nicht um ein Instrument des sogenannten
humanitären Aufenthaltsrechts. Entscheidend für einen Familiennachzug muss daher
stets die Eigenschaft als Mitglied der Kernfamilie oder die Erfüllung besonderer
Ausnahmetatbestände sein. Die prekäre Lebenssituation in Krisen- und
Kriegsgebieten dagegen spielt für die Frage, ob ein Recht auf Familiennachzug
besteht, keine Rolle.
Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hat mit dem vorübergehend sehr
weitgehend ausgeübten Selbsteintrittsrecht bei syrischen Asylsuchenden einer
humanitären Ausnahmesituation Rechnung getragen. Deutschland wendet das
Dublin-Verfahren aktuell für alle Herkunftsländer und alle Mitgliedstaaten außer
Griechenland an. Dies gilt auch für syrische Staatsangehörige, für die das Bundesamt
für Migration und Flüchtlinge seit dem 21. Oktober 2015 nicht mehr grundsätzlich von
dem Selbsteintrittsrecht Gebrauch macht. In begründeten Einzelfällen ist dies aber
weiterhin möglich. Allerdings sind die systemischen Mängel des Asyl- und
Aufnahmesystems, aufgrund derer bislang keine Dublin-Überstellungen nach
Griechenland erfolgen, nur dort festgestellt worden. Eine Überstellung in andere
Mitgliedstaaten im Rahmen eines Dublin-Verfahrens ist von daher grundsätzlich
möglich.
Der Ausschuss begrüßt ausdrücklich das gemeinnützige Engagement der Petentin bei
der Unterstützung der yezidischen und christlichen Bevölkerungsgruppen im Irak, im
Ergebnis seiner Prüfung vermag er das Anliegen der Petentin angesichts der
dargestellten Sach- und Rechtslage jedoch nicht zu unterstützen.
Der Petitionsausschuss empfiehlt daher, das Petitionsverfahren abzuschließen, da
dem Anliegen der Petentin nicht entsprochen werden konnte.
Der von der Fraktion von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gestellte Antrag, die Petition der
Bundesregierung – dem Bundesministerium des Innern – zur Erwägung zu
überweisen, soweit es um die Forderungen eines humanitären Aufnahmeprogramms
und von vereinfachter, unbürokratischer Familienzusammenführung geht, ist
mehrheitlich abgelehnt worden.
Begründung (PDF)