2016. 07. 06. 12:17
Pet 2-18-15-829-005552
Pflegeversicherung
Der Deutsche Bundestag hat die Petition am 09.06.2016 abschließend beraten und
beschlossen:
Das Petitionsverfahren abzuschließen, weil dem Anliegen entsprochen worden ist.
Begründung
Der Deutsche Bundestag möge eine Reform der Pflegeversicherung auf der
Grundlage eines neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs beschließen, der den Hilfebedarf
eines Menschen ganzheitlich, d.h. unter Einbeziehung von seelischen, geistigen und
körperlichen Einschränkungen, beurteilt.
Zu den Einzelheiten des Vortrags des Petenten wird auf die von ihm eingereichten
Unterlagen verwiesen.
Die Eingabe war als öffentliche Petition auf der Internetseite des Deutschen
Bundestages eingestellt. Es gingen 5.883 Mitzeichnungen sowie
21 Diskussionsbeiträge ein. Weiterhin gingen 170.640 unterstützende Unterschriften
auf dem Postweg ein.
Zu diesem Thema liegen dem Petitionsausschuss weitere Eingaben mit verwandter
Zielsetzung vor, die wegen des Zusammenhangs einer gemeinsamen
parlamentarischen Prüfung zugeführt werden. Der Ausschuss bittet daher um
Verständnis, dass nicht auf alle vorgetragenen Gesichtspunkte eingegangen werden
kann.
Die Petition wurde in der öffentlichen Sitzung des Petitionsausschusses am
01.12.2014 beraten.
Der Petitionsausschuss hat zu dem Anliegen Stellungnahmen der Bundesregierung
eingeholt. Darüber hinaus hat der Ausschuss das Verfahren nach § 109 Abs. 1
Satz 2 Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages (GO-BT) eingeleitet und eine
Stellungnahme des Gesundheitsausschusses eingeholt, da die Petition einen
Gegenstand der Beratung in diesem Fachausschuss betrifft. Der Ausschuss für
Gesundheit hat mitgeteilt, dass er die Petition in seiner 59. Sitzung am 11.11.2015
beraten hat.
Das Ergebnis der parlamentarischen Prüfung stellt sich unter Berücksichtigung der
Stellungnahmen der Bundesregierung und der Mitteilung des Ausschusses für
Gesundheit wie folgt dar:
Die Bundesregierung hat mit dem "Ersten Gesetz zur Stärkung der pflegerischen
Versorgung und zur Änderung weiterer Vorschriften (Erstes Pflegestärkungsgesetz -
PSG I") vom 17.12.2014 die Reform der Pflegeversicherung in dieser
Legislaturperiode eingeleitet (Entwurf eines "Fünften Gesetzes zur Änderung des
Elften Buches Sozialgesetzbuch - Leistungsausweitung für Pflegebedürftige,
Pflegevorsorgefonds [Fünftes SGB XI- Änderungsgesetz - 5. SGB XI-ÄndG"]),
Deutscher Bundestag Drucksache 18/1798 vom 23.06.2014. Das Gesetz stellt die
erste Stufe der Pflegereform dar. Es enthält Leistungsverbesserungen, die
insbesondere die häusliche Pflege stärken und bereitet die Einführung des neuen
Pflegebedürftigkeitsbegriffs vor, die in einer zweiten Reformstufe ebenfalls in dieser
Legislaturperiode erfolgt.
Zur Stärkung der häuslichen Pflege werden die Leistungen der Kurzzeit- und
Verhinderungspflege sowie der Tages- und Nachtpflege ausgebaut und flexibilisiert.
Pflegebedürftige, einschließlich Pflegebedürftige der so genannten Pflegestufe 0,
können danach Leistungen entsprechend ihrer individuellen Bedarfslage
"passgenau" zusammenstellen.
Bestehende Betreuungsleistungen in der ambulanten Pflege werden ebenso wie die
existierenden zusätzlichen Betreuungsangebote in der stationären Pflege zur
Verbesserung der Lebensqualität der Betroffenen und zur Entlastung pflegender
Angehöriger ausgebaut. Darüber hinaus werden neue Entlastungsangebote
eingeführt. Damit werden wesentliche Vorschläge des Expertenbeirats zur konkreten
Ausgestaltung des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs und der Fachkreise für
Leistungsverbesserungen kurzfristig umgesetzt, die bspw. die Ausweitung und
bessere Berücksichtigung von Betreuung, die Verbesserung der Betreuungsrelation
für die zusätzlichen Betreuungsangebote und flexiblere
Inanspruchnahmemöglichkeiten für Leistungen zum Inhalt hatten.
Darüber hinaus findet die bereits im geltenden Recht für 2015 vorgesehene
Dynamisierung der Sach- und Geldleistungen der Pflegeversicherung, die als Euro-
Beträge gesetzlich festgesetzt sind - orientiert an der Preisentwicklung der letzten
drei Jahre -, statt.
Die finanziellen Grundlagen der Pflegeversicherung werden verbessert. Der
Beitragssatz wurde zum 01.01.2015 um 0,3 Beitragssatzpunkte angehoben. Mit der
Bildung eines Pflegevorsorgefonds soll eine stabilisierende Wirkung auf den
Beitragssatz ab 2035 erreicht werden. Das PSG I trat im Wesentlichen am
01.01.2015 in Kraft.
In einem zweiten Schritt wird in dieser Legislaturperiode nach vorheriger Erprobung
der neue Pflegebedürftigkeitsbegriff eingeführt. Die entsprechende gesetzliche
Regelung erfolgt auf der Grundlage der Empfehlungen des Expertenbeirates in
Verbindung mit entsprechenden leistungsrechtlichen Bestimmungen. Der neue
Pflegebedürftigkeitsbegriff wird in Verbindung mit einem neuen
Begutachtungsverfahren alle wesentlichen Aspekte der Pflegebedürftigkeit
berücksichtigen. Neben körperlichen Einschränkungen werden auch solche
Problemlagen einbezogen, die etwa bei demenziell erkrankten Menschen häufig
vorkommen. Darüber hinaus gibt, wie der Expertenbeirat betont hat, das neue
Begutachtungsassessment Hinweise auf Rehabilitations- und Präventionsbedarfe. Im
Ergebnis all dieser Entwicklungen wird eine verbesserte Grundlage für die
Versorgungsberatung und -planung existieren.
Für die Einführung des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs sind die begonnenen
Erprobungsprojekte zum neuen Begutachtungsverfahren wichtig:
• "Praktikabilitätsstudie zur Einführung des Neuen Begutachtungsassessments zur
Feststellung der Pflegebedürftigkeit nach dem SGB XI" (Medizinischer Dienst des
Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen (MDS) und Hochschule für
Gesundheit Bochum);
• "Evaluation des Neuen Begutachtungsassessments NBA - Erfassung von
Versorgungsaufwänden in stationären Einrichtungen" (Zentrum für Sozialpolitik
der Universität Bremen).
Die Arbeit an beiden Projekten wird durch ein fachlich besetztes Begleitgremium
beim GKV-Spitzenverband begleitet.
Die umfassende Erprobung zielt nach Aussage der Bundesregierung darauf ab,
repräsentative und statistisch verlässliche Ergebnisse zur Praktikabilität des
Gesamtverfahrens nach dem neuen Begutachtungsassessment, einschließlich der
2013 durch den Expertenbeirat vorgeschlagenen Modifizierungen bei
Kinderbegutachtungen, bei besonderen Bedarfskonstellationen/Härtefällen und bei
der Klärung des Rehabilitationsbedarfs zu gewinnen und bezweckt ferner, dass
Leistungsbezieherinnen und -bezieher bei Einführung des neuen
Pflegebedürftigkeitsbegriffs nicht schlechter gestellt werden. Bei Begutachtungen von
etwa 4.000 Pflegebedürftigen werden Erfahrungen gesammelt, wie die neuen
Verfahren und die neuen Pflegegrade im Vergleich zur heutigen Zeitmessung
tatsächlich wirken und ob sie auch für die Gutachter praxistauglich sind.
Hinsichtlich der öffentlichen Beratung der Petition im Petitionsausschuss am
01.12.2014 wies die Bundesregierung mit Stellungnahme vom 18.03.2015
ergänzend auf Folgendes hin:
Es ist Ziel der Bundesregierung, die gesetzliche Einführung des neuen
Pflegebedürftigkeitsbegriffs und Begutachtungsverfahrens sowie die entsprechenden
leistungsrechtlichen Bestimmungen in dieser Legislaturperiode auf einer gesicherten
Grundlage vorbereiten zu können. Dafür sind die o.g. Erprobungsprojekte notwendig.
Im Rahmen einer Sitzung des "Gemeinsamen Begleitgremiums für die beiden
Modellprojekte zur Erprobung des Neuen Begutachtungsassessments NBA" beim
GKV-Spitzenverband am 27.01.2015 wurde als ein erstes, vorläufiges Fazit der
Gutachter und Experten von einer positiven Gesamteinschätzung des
Begutachtungsverfahrens berichtet. Zugleich wurden praxisorientierte
Empfehlungen, Hinweise und konkrete Lösungsvorschläge für Anpassungen, die auf
dem Weg zu einer Einführung des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs zu bewältigen
sind, sowie für die konkrete Umsetzung vorgestellt.
Der Deutsche Bundestag hat am 13.11.2015 das Zweite Gesetz zur Stärkung der
pflegerischen Versorgung und zur Änderung weiterer Vorschriften (Zweites
Pflegestärkungsgesetz - PSG II) beschlossen. Schwerpunkte des Gesetzes sind die
Einführung eines neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs und eines neuen
Begutachtungsassessments mit fünf Pflegegraden sowie eines korrespondierenden
Leistungsrechts.
Der neue Pflegebedürftigkeitsbegriff erfasst die Beeinträchtigungen der
Selbständigkeit und weiterer Fähigkeiten sowohl von vorrangig somatisch als auch
von vorrangig kognitiv und psychisch beeinträchtigten Menschen gleich. Diese
Gleichbehandlung wird künftig über den Grad der Selbständigkeit und über den Grad
der Abhängigkeit von personaler Hilfe in allen pflegerelevanten Bereichen erreicht
werden. Pflegebedürftige sollen nach einem einheitlichen Verfahren in die
Pflegegrade 1 bis 5 eingestuft werden. Die Höhe der Leistungsbeträge ist vom
Pflegegrad abhängig, soweit nicht pauschale Leistungsbeträge für alle
Pflegebedürftigen vorgesehen sind.
Das Leistungsrecht wird in verschiedenen Bereichen angepasst. Mit den
Neuregelungen soll eine regelhafte Berücksichtigung der Bedarfe kognitiv
beeinträchtigter Menschen erfolgen. So wird u. a. die häusliche Pflegesachleistung
regelhaft auch auf pflegerische Betreuungsmaßnahmen erstreckt. Damit werden
auch Hilfebedarfe von Menschen mit kognitiven Einschränkungen künftig
angemessen berücksichtigt.
Vor dem Hintergrund des Dargelegten empfiehlt der Petitionsausschuss, das
Petitionsverfahren abzuschließen, weil dem Anliegen entsprochen worden ist.
Der abweichende Antrag der Fraktion DIE LINKE., die Petition der Bundesregierung
- dem Bundesministerium für Gesundheit - zur Erwägung zu überweisen, den
Fraktionen des Deutschen Bundestages zur Kenntnis zu geben, soweit
Sofortmaßnahmen für mehr Pflegepersonal und die Auflösung des
Pflegevorsorgefonds gefordert werden und das Petitionsverfahren im Übrigen
abzuschließen, wurde mehrheitlich abgelehnt.
Begründung (pdf)