30/05/2017 à 04:22
Pet 1-18-06-26-022399
Aufenthaltsrecht
Der Deutsche Bundestag hat die Petition am 18.05.2017 abschließend beraten und
beschlossen:
Das Petitionsverfahren abzuschließen, weil dem Anliegen nicht entsprochen werden
konnte.
Begründung
Der Petent fordert die Abschaffung des gesetzlich vorgesehenen Sprachnachweises
beim Ehegattennachzug, wenn die Ehe oder eingetragene Lebenspartnerschaft
bereits zuvor im Ausland Bestand hatte.
Zu dieser Petition, die auf der Internetseite des Deutschen Bundestages
veröffentlicht wurde, liegen 151 Mitzeichnungen und 125 Diskussionsbeiträge vor. Es
wird um Verständnis gebeten, dass nicht auf alle angeführten Gesichtspunkte einzeln
eingegangen werden kann.
Zur Begründung des Anliegens wird im Wesentlichen angeführt, dass das Vorliegen
von Deutschkenntnissen von berechtigtem Interesse sei, um dem Betroffenen die
Kultur des Landes näher zu bringen und Scheinehen zu entlarven. Allerdings seien
bereits jetzt Ausnahmen vorgesehen, beispielsweise könne bei geringem
Integrationsbedarf im Einzelfall von den erforderlichen Sprachkenntnissen
abgesehen werden. Die Bewertung unterliege jedoch der Willkür der zuständigen
Ausländerbehörde. Mit der geforderten Neuregelung könne Gewissheit geschaffen
werden, wenn die Ehepartner bereits im Ausland eine Familieneinheit gebildet
hätten. Es sei davon auszugehen, dass das Ehepaar starke Verbindung nach
Deutschland habe und die Integration des ausländischen Ehepartners über eine
Transfersprache vermittelt werden könne. Ein Deutschtest könne auch zu einem
späteren Zeitpunkt gefordert werden. Ferner würde es mit der geforderten
Neuregelung qualifizierten Deutschen erleichtert, nach Deutschland zurückzukehren.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten zu dem Vorbringen wird auf die eingereichten
Unterlagen verwiesen.
Der Petitionsausschuss hat der Bundesregierung Gelegenheit gegeben, ihre Ansicht
zu der Eingabe darzulegen. Das Ergebnis der parlamentarischen Prüfung lässt sich
unter anderem unter Einbeziehung der seitens der Bundesregierung angeführten
Aspekte wie folgt zusammenfassen:
Einführend weist der Ausschuss darauf hin, dass das in § 28 Absatz 1 Satz 5 in
Verbindung mit § 30 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 Aufenthaltsgesetz (AufenthG)
geregelte Sprachnachweiserfordernis bereits Thema verschiedener Anfragen und
Debatten im Deutschen Bundestag (siehe hierzu Drucksache 18/2414,
Plenarprotokoll 18/87) war. Die entsprechenden Dokumente können unter
www.bundestag.de eingesehen werden.
Das Bundesverfassungsgericht (Beschluss vom 25. März 2011, Az.: BvR 1413/10)
hat das Spracherwerbserfordernis vor Einreise beim Ehegattennachzug von
Drittstaatsangehörigen gemäß §§ 28 Absatz 1 Satz 5, 30 Absatz 1 Nr. 2 AufenthG
als verfassungsgemäß bestätigt und stellte insbesondere keinen Verstoß gegen das
Grundrecht und die Institutsgarantie des Artikels 6 Absatz 1 und 2 Grundgesetz fest.
Der Gesetzgeber verfolgt mit der Obliegenheit, einfache Kenntnisse der deutschen
Sprache vor Zuzug in das Bundesgebiet zu erwerben, ein legitimes Ziel. Das Mittel
des Spracherwerberfordernisses ist weder unverhältnismäßig noch ungeeignet und
der gesetzgeberische Gestaltungs- und Beurteilungsspielraum somit nicht
überschritten. Sozial- und kulturpolitischer Hintergrund war, neben dem Ziel, die
Integration von Ausländern zu fördern, vor allem das Bestreben, insbesondere
Frauen aus Migrantenkreisen und insbesondere minderjährige Mädchen davor zu
schützen, nach einer möglichen Zwangsheirat in Deutschland in völliger Isolation im
Rahmen einer „Parallelgesellschaft“ zu leben und so der Willkür des Mannes oder
anderen Familienmitgliedern ausgeliefert zu sein. Diese verfassungsrechtliche
Wertung bestätigt auch das Bundesverwaltungsgericht in ständiger Rechtsprechung
(siehe hierzu Urteile des BVerwG vom 4. September 2016, Az. 10 C 12/12 sowie
vom 30. März 2010, Az. 1 C 8/09).
Der Petitionsausschuss stimmt der Überlegung zu, dass Sprachkenntnisse auf dem
Niveau A1, die bereits vor der Einreise vorliegen, für den nachziehenden Ehegatten
von Anfang an gute Integrationsvoraussetzungen sind, und hierdurch auch der
Zugang zu Sprachfördermaßnahmen im Zielland erleichtert wird.
Der Ausschuss erinnert an die Studie des Sachverständigenrats deutscher
Stiftungen für Integration und Migration „Deutsche Integrationsmaßnahmen aus der
Sicht von Nicht-EU-Bürgern“ aus dem Jahr 2012. Nach dieser Studie beurteilen mehr
als 96 Prozent der befragten Drittstaatsangehörigen den Sprachtest als hilfreich
(26,9 Prozent) oder sehr hilfreich (69,8 Prozent). Mithin werden verpflichtende
Deutschtests für nachziehende Familienangehörige fast ausschließlich positiv
bewertet. Die Studie hat zudem gezeigt, dass sich die Kursteilnehmer bereits im
Herkunftsland untereinander vernetzen, was positive Auswirkungen für das
Selbstvertrauen im Hinblick auf den Neuanfang im Zielland hat und die Teilnehmer
zu motivieren vermag.
Der Petitionsausschuss erinnert daran, dass sich der niedersächsische Innenminister
im Juni 2014 mit einem Brief an den Bundesminister des Innern wandte. Darin regte
er auch im Namen seiner Kollegen aus den Ländern Brandenburg, Bremen,
Hamburg, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein an, den im
Aufenthaltsgesetz vorgesehenen Sprachtest für Ehegatten aus dem Ausland generell
abzuschaffen. Dieser Vorschlag ist vom Bundesminister des Innern jedoch nicht
aufgegriffen worden.
Zudem weist der Ausschuss darauf hin, dass zum 1. August 2015 mit dem Gesetz
zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung eine Änderung
des § 30 AufenthG in Kraft getreten ist. Die Änderung setzt das Urteil des
Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 10. Juli 2014 in der Rechtssache C-138/13
(„Dogan“) um. Danach ist in § 30 Absatz 1 Satz 3 Nummer 6 AufenthG eine
Härtefallklausel enthalten, wonach Sprachkenntnisse beim Ehegatten für die
Erteilung der Aufenthaltserlaubnis nicht erforderlich sind, wenn „es dem Ehegatten
auf Grund besonderer Umstände des Einzelfalls nicht möglich oder nicht zumutbar
ist, vor der Einreise Bemühungen zum Erwerb einfacher Kenntnisse der deutschen
Sprache zu unternehmen.“ Hierdurch soll sichergestellt werden, dass alle
Besonderheiten des Einzelfalls gebührend berücksichtigt werden können und bei
Vorliegen besonderer Umstände ein Absehen vom Sprachnachweis möglich ist.
Zu den Kriterien, wann ein Härtefall vorliegt, kann die Rechtsprechung des
Bundesverwaltungsgerichts herangezogen werden (Urteil vom 4. September 2012,
Az.: 10 C 12/12,). Danach muss es dem ausländischen Ehegatten entweder von
vornherein nicht möglich bzw. nicht zumutbar sein, vor der Einreise Bemühungen
zum Erwerb einfacher deutscher Sprachkenntnisse zu unternehmen, oder es ist ihm
trotz einjähriger ernsthafter Bemühungen nicht gelungen, das geforderte
Sprachniveau zu erreichen. Anhaltspunkte können in der Person des Ehegatten oder
in äußeren Umständen begründet sein, zum Beispiel Gesundheitszustand, kognitive
Fähigkeiten, Erreichbarkeit von Sprachkursen oder Verfügbarkeit eines
Sprachlernangebotes.
Hinsichtlich der mit der Petition geäußerten Kritik an der willkürlichen Bewertung der
Einzelfälle durch die Ausländerbehörde weist der Ausschuss darauf hin, dass der
Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gilt. Hierdurch wird sichergestellt, dass im Rahmen
der Abwägung die Umstände des Einzelfalls und damit alle maßgeblichen
Gesichtspunkte ausreichend berücksichtigt werden können. Eine willkürliche Praxis
wird dadurch gerade vermieden. Zudem merkt der Ausschuss an, dass die
Verwaltung an Recht und Gesetz gebunden ist und eine Überprüfung der
Entscheidung durch die Verwaltungsgerichte stets möglich ist.
Abschließend weist der Ausschuss darauf hin, dass es neben der
Aufenthaltserlaubnis nach § 28 AufenthG auch die Möglichkeit gibt, einen
Aufenthaltstitel zum Spracherwerb nach § 16 Absatz 5 AufenthG zu beantragen.
Der Petitionsausschuss weist auch darauf hin, dass der EuGH erneut die
Vereinbarkeit des Nachweises deutscher Sprachkenntnisse als Voraussetzung für
den Nachzug ausländischer Ehegatten mit europäischem Recht prüft. Nachdem der
Generalanwalt bei EuGH im Vorfeld der Entscheidung in der (ebenfalls vom
Verwaltungsgericht (VG) Berlin) vorgelegten Sache „Dogan“ Zweifel an der
Vereinbarkeit des Sprachnachweises für türkische Staatsangehörige mit der sog.
Familiennachzugsrichtlinie hat, sah das VG Berlin nunmehr Klärungsbedarf für
sonstige Staatsangehörige. Im Fall „Dogan“ hat der EuGH diese Frage nicht
beantwortet, weil das für türkische Staatsangehörige geltende Assoziationsrecht
insoweit Vorrang war. Das VG Berlin hat aber ein anderes Klageverfahren
ausgesetzt und dem EuGH folgende Frage zur Entscheidung vorgelegt
(VG 28 K 456, 12 V, Beschluss vom 23. Oktober 2014):
Ist Artikel 7 Absatz 2 Unterabsatz 1 der Richtlinie 2003/86/EG des Rates vom
22. September 2003 betreffend das Recht auf Familienzusammenführung
(ABI. L 251 vom 3. Oktober 2003, S. 12) so auszulegen, dass er einer Regelung des
nationalen Rechts entgegensteht, mit der die erstmalige Einreise eines
Familienangehörigen eines Zusammenführenden davon abhängig gemacht wird,
dass der Familienangehörige vor der Einreise nachweist, sich auf einfache Art in
deutscher Sprache verständigen zu können?
Auf eine der Fragen in der Kleinen Anfrage der Fraktion DIE LINKE. (Drucksache
18/2414), „Konsequenzen aus dem Dogan-Urteil des EuGH“, hat die
Bundesregierung geantwortet, sie wolle nicht darüber spekulieren, wie der EuGH die
Frage der Vereinbarkeit des deutschen Sprachnachweises mit der
Familiennachzugsrichtlinie beantworten wird. Die Entscheidung des EuGH bleibe
abzuwarten.
Der Petitionsausschuss erkennt selbstverständlich die Unterschiede in der
politischen Bewertung der Spracherfordernisregelung und einer sich daraus ggf.
ergebenden Handlungsnotwendigkeit zwischen Akteuren des politischen Lebens.
Gleichzeitig erkennt der Petitionsausschuss zurzeit keine Handlungen der
Bundesregierung oder der Koalitionsfraktionen, die auf die Vorbereitung von
Gesetzentwürfen, Verordnungen oder anderen Initiativen im Sinne des Anliegens
zielen. Der Petitionsausschuss kann deswegen zurzeit kein parlamentarisches
Tätigwerden im Sinne des Anliegens in Aussicht stellen und schlägt vor, das
Petitionsverfahren abzuschließen.
Begründung (PDF)