29/08/2017 à 10:46
Dirk KühnFamilienfragen
Der Deutsche Bundestag hat die Petition am 13.12.2012 abschließend beraten und
beschlossen:
Das Petitionsverfahren abzuschließen, weil dem Anliegen nicht entsprochen werden
konnte.
Begründung
Der Petent fordert, dass ein "Eltern-Führerschein" eingeführt wird, der Eltern zur
Erziehung ihrer Kinder berechtigt.
Obwohl man von Erziehungsberechtigung spreche, bedürfe es für die Erziehung
eines Kindes keiner gesonderten Berechtigung. Allein in Niedersachsen seien jedoch
im Jahr 2010 3109 Minderjährige durch die Jugendämter in Obhut genommen
worden. Die häufigsten Gründe dafür seien die Überforderung der Eltern und daraus
resultierende Misshandlungen sowie Vernachlässigungen ihrer Kinder. Dem könne
mit einem „Eltern-Führerschein“ abgeholfen werden.
Es handelt sich vorliegend um eine öffentliche Petition, die auf den Internetseiten des
Deutschen Bundestages veröffentlicht wurde und zur Diskussion bereitstand. Der
Petition schlossen sich 258 Mitzeichnende an und es gingen
214 Diskussionsbeiträge ein.
Der Petitionsausschuss hat im Rahmen seiner parlamentarischen Prüfung eine
Stellungnahme des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
(BMFSFJ) eingeholt. Die parlamentarische Prüfung hatte unter Berücksichtigung der
Ausführungen des BMFSFJ das im Folgenden dargestellte Ergebnis:
Die Einführung eines „Elternführerscheins“ soll bewirken, dass die
Erziehungskompetenz von Eltern gestärkt wird und die Anzahl der
Kindesmisshandlungen und Vernachlässigungen von Kindern in Deutschland zurück
geht. Die Förderung des Kinderschutzes sowie der Elternbildung und der
Erziehungskompetenz der Eltern sind als legitime Zwecke grundsätzlich
unterstützenswert. Die Einführung eines für alle Familien verpflichtenden
Elternführerscheins wäre jedoch ein unverhältnismäßiges Mittel, um dieses Ziel zu
erreichen.
Bereits aus verfassungsrechtlichen Gründen ist eine Umsetzung eines für alle Eltern
verpflichtenden Elternführerscheins unabhängig von dessen konkreter Ausgestaltung
problematisch. Nach Art. 6 Abs. 2 S. 1 des Grundgesetzes (GG) sind Pflege und
Erziehung der Kinder das natürliche Recht der Eltern und die primär ihnen
obliegende Pflicht. Dieser Grundsatz ist in dem Leitbild der partnerschaftlichen
Erziehung gemäß § 1626 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB)
konkretisiert. In das Grundrecht der Eltern darf nur bei schwerwiegenden
Kindeswohlgefährdungen und -verletzungen eingegriffen werden. Jedes Kind hat
gemäß § 1631 Abs. 2 BGB das Recht auf gewaltfreie Erziehung.
Vor diesem rechtlichen Hintergrund gibt es in Deutschland ein breit gefächertes
Angebot der Eltern- und Familienbildung sowie der Elternberatung. Dieses wird von
unterschiedlichen Anbietern getragen, die von den kommunalen Jugendämtern
sowie lokalen Initiativen über Wohlfahrtsverbände und Kirchen bis zu
Kinderschutzorganisationen reichen. Hilfe oder Information suchende Eltern finden
überall in Deutschland Angebote in räumlicher Nähe zu ihrem Wohnort. Über die
allgemeinen Angebote der Eltern- und Familienbildung hinaus gibt es die Möglichkeit
der individuellen Beratung und Hilfe, die in zentralen Beratungsstellen und zum Teil
auch in häuslicher Umgebung angeboten werden.
Die Anbieter von Maßnahmen der Eltern- und Familienbildung nutzen
unterschiedliche methodische Ansätze. Dadurch kann Familien je nach sozialer
Lage, Einstellung und Werthaltung oder Lebensform ein jeweils auf sie abgestimmtes
Angebot unterbreitet werden. Außerdem können die Eltern wählen zwischen
Maßnahmen unterschiedlicher Länge und Zielrichtung. Thematische Kurse oder
Eltern-Kind-Gruppen stehen neben punktuellen Informationsangeboten wie
Einzelveranstaltungen oder Elterninformation durch Broschüren und Flyer oder im
Internet. Darüber hinaus besteht für Erziehungsberechtigte nach den §§ 27 ff des
Achten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VIII) bei der Erziehung eines Kindes oder
Jugendlichen ein konkreter Anspruch auf Hilfe zur Erziehung, wenn eine dem Wohl
des Kindes oder des Jugendlichen entsprechende Erziehung nicht gewährleistet und
die Hilfe für seine Entwicklung geeignet und notwendig ist.
Das BMFSFJ entwickelt und fördert umfangreiche Maßnahmen zur Stärkung der
elterlichen Erziehungskompetenz. Aufgrund der vielfachen Herausforderungen,
denen Eltern bei der Kindererziehung begegnen, sind die Ansätze, die das BMFSFJ
verfolgt, von einer großen Vielfalt geprägt. Die Angebote sind jeweils auf das Alter
der Kinder zugeschnitten, da sich die Anforderungen an die Kompetenz der Eltern mit
dem Alter der Kinder verändern. Der „Erziehungskompass" auf der Homepage des
BMFSFJ (www.familien-wegweiser.de/kompass-erziehung) ermöglicht Eltern, sich
jederzeit unkompliziert zu Erziehungsfragen zu informieren. Ebenso bietet zum
Beispiel die Onlineberatung der Bundeskonferenz für Erziehungsberatung Eltern an,
sie vorbeugend auf Ihre Erziehungsaufgaben vorzubereiten.
Der Petitionsausschuss erachtet es für notwendig, insbesondere hilfsbedürftige
Erziehungsberechtigte zu unterstützen und somit konkret im Wege der oben
genannten Maßnahmen tätig zu werden. Eine Verpflichtung zur Einholung einer
Berechtigung zur Kindeserziehung verbunden mit Lehrgängen und Prüfungen hält
der Petitionsausschuss u. a. in Anbetracht der zu begrüßenden Vielseitigkeit der in
den unterschiedlichen Familien vertretenen Ansichten und Erziehungsstrategien für
nicht zielführend. Bevor der Staat in die Erziehung seiner minderjährigen Bürger
derart lenkend eingreift, haben die Eltern gemäß Art. 6 Abs. 2 GG das Recht, ihr
Kind innerhalb des gesetzlichen Rahmens zu pflegen und zu erziehen.
Ein verpflichtender Elternführerschein lässt sich vor diesem rechtlichen Hintergrund
sowie der Notwendigkeit der Berücksichtigung der faktischen Bedarfslage der
Familien und den derzeit bereits vorhandenen Informations- und
Beratungsangeboten, die den jeweiligen Bedarfslagen der Familien Rechnung
tragen, nicht rechtfertigen.
Das Ziel, Eltern in ihrer Erziehungskompetenz zu stärken und sie in berechtigten
Einzelfällen zum Schutz des Kindeswohls in der Wahrnehmung ihrer
Elternverantwortung zu unterstützen, wird durch die existierende Angebotsstruktur
bereits als erreichbar gesehen.
Die deutsche Familienpolitik setzt vor allem auf die Stärkung der elterlichen
Erziehungskompetenz, möchte diese werdenden bzw. jungen Eltern durch die
Einführung eines „Eltern-Führerscheines“ jedoch nicht abstrakt absprechen.
Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass sich Eltern ihrer Verantwortung bewusst
und der Aufgabe der Kindeserziehung gewachsen sind. Ist dies im Einzelfall nicht der
Fall, so kann dem durch konkrete Hilfsmaßnahmen, bzw. als letztem Schritt durch die
Inobhutnahme des Kindes durch das zuständige Jugendamt, abgeholfen werden.
Der Petitionsausschuss hält die bestehenden Einrichtungen und das vielseitige
Angebot an generellen und individuellen Maßnahmen für Familien für ausreichend
und geeignet, das mit der Petition verfolgte Ziel, Kinder vor Gewalt und
Vernachlässigung zu schützen und Eltern in ihrer Erziehungskompetenz zu stärken,
zu erreichen. Er beschließt daher, das Petitionsverfahren abzuschließen, da dem
Anliegen nicht entsprochen wurde.
Begründung (PDF)