14.05.2016 04:23
Pet 4-18-07-452-023501
Jugendstrafrecht
Der Deutsche Bundestag hat die Petition am 28.04.2016 abschließend beraten und
beschlossen:
Das Petitionsverfahren abzuschließen, weil dem Anliegen nicht entsprochen werden
konnte.
Begründung
Der Deutsche Bundestag möge beschließen, das Strafmündigkeitsalter von derzeit
14 Jahren herabzusetzen.
Der Petent führt zur Begründung aus, die Jugend sei sich heute viel früher „ihres
Handelns bewusst“ und die Strafunmündigkeit erst ab 14 Jahren werde von
kriminellen Banden ausgenutzt.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die eingereichten Unterlagen Bezug
genommen.
Die Eingabe wurde als öffentliche Petition auf der Internetseite des
Petitionsausschusses eingestellt. Sie wurde von 243 Mitzeichnern unterstützt.
Außerdem gingen 91 Diskussionsbeiträge ein.
Der Petitionsausschuss hat der Bundesregierung Gelegenheit gegeben, ihre Haltung
zu der Eingabe darzulegen. Das Ergebnis der parlamentarischen Prüfung lässt sich
unter anderem unter Einbeziehung der seitens der Bundesregierung angeführten
Aspekte wie folgt zusammenfassen:
Nach § 19 des Strafgesetzbuchs (StGB) ist schuldunfähig, wer bei der Begehung der
Tat noch nicht 14 Jahre alt ist. Bis zu dieser Altersgrenze ist eine strafrechtliche
Verantwortlichkeit ausgeschlossen. Hintergrund dieser Regelung ist das
Schuldprinzip, auf dem das gesamte deutsche Strafrecht basiert. Nur wer gegen das
Recht verstoßen hat, obwohl er sich in der konkreten Situation hätte rechtmäßig
verhalten können und müssen, kann danach strafrechtlich für sein Tun zur
Verantwortung gezogen werden. Voraussetzung ist also die Fähigkeit, zwischen
Recht und Unrecht zu unterscheiden und das Handeln danach auszurichten. Bei
Kindern bis zum Alter von 14 Jahren sind regelmäßig die hierfür erforderlichen
persönlichen und sozialen Kompetenzen noch nicht herausgebildet.
Die körperliche Entwicklung und die Ausbildung gewisser intellektueller Fähigkeiten
mögen heute zwar eher erfolgen als zu früheren Zeiten. Für die Herausbildung
sozialer Kompetenz und Verantwortlichkeit, die Voraussetzung für eine Reaktion mit
den Mitteln des (Jugend-)Strafrechts sind, gilt dies jedoch nicht. Der Verlust fester
Verhaltensmaßstäbe, die Pluralisierung von Wertorientierungen, die Vielfalt von
Medien- und Konsumeinflüssen, verlängerte schulische Ausbildungszeiten etc.
haben im Gegenteil die Herausbildung der Verantwortungsreife der jungen
Menschen eher verzögert.
Im Hintergrund von Forderungen nach Herabsetzung des Strafmündigkeitsalters
stehen häufig Medienberichte über Kinder, die wiederholt strafrechtlich auffällig
geworden sind oder ein besonders schweres Unrecht begangen haben. Man muss
dabei aber zunächst bedenken, welche Auswirkungen eine allgemeine Absenkung
des Strafmündigkeitsalters hätte. Denn nach dem deutschen Strafprozessrecht muss
in jedem Fall der angenommenen Straftat eines Strafmündigen, also nicht nur bei
besonderen Problemfällen, ein Strafverfahren eingeleitet werden. Dies würde bei der
Erstreckung auf bisher Strafunmündige – auch wenn am Ende vielfach keine
strafrechtliche Verurteilung stehen würde – in erheblichem Maße die knappen
Ressourcen von Polizei, Staatsanwaltschaft und Gerichten zu Lasten der Verfolgung
gravierenderer Kriminalität in Anspruch nehmen, und vor allem würde nach
Auffassung des Petitionsausschusses es im Hinblick auf die erwünschte künftig
positive Entwicklung der Mehrheit der betroffenen Kinder eher nachteilige Folgen
erwarten lassen. Denn schon bei Jugendlichen und Heranwachsenden macht die
Gruppe der sogenannten „Intensiv- und Mehrfachtäter“ – trotz großer
Medienaufmerksamkeit – nur einen kleinen Teil der strafrechtlich Auffälligen aus.
Umso mehr gilt dies für Kinder, die in Konflikt mit dem Gesetz geraten.
Im breiten Feld kindlicher Delinquenz handelt es sich überwiegend um solche des
leichten bis mittelschweren Bereichs, zum großen Teil um Bagatelltaten, die vielfach
kindlichem Probierverhalten, Abenteuerlust und eben der noch nicht ausreichend
herausgebildeten eigenen Einsichts- und Steuerungsfähigkeit entspringen. Nach den
kriminologischen Erkenntnissen verliert sich derartiges Delinquenzverhalten zumeist
im Verlauf der weiteren Entwicklung von selbst. Durch seinen Einfluss auf die
kindliche Persönlichkeit und das Selbstbild, durch eine Verfestigung
kriminalitätsbegünstigender Ansätze sowie durch den Makel strafrechtlicher
Vorbelastung kann ein zu frühes strafjustizielles Eingreifen diesen Prozess nach
Ansicht der Fachleute behindern und die Aussichten auf künftiges rechtstreues
Verhalten eher verschlechtern, also geradezu das Gegenteil des eigentlich Gewollten
bewirken.
Dies bedeutet jedoch keineswegs, dass erheblichem und wiederholtem delinquenten
Verhalten von Kindern tatenlos zugesehen werden muss. Im Achten Buch
Sozialgesetzbuch (SGB VIII) – Kinder- und Jugendhilfe – hält die Rechtsordnung
vielmehr vielfältige und differenzierte Angebote und Leistungen zur Unterstützung
und Hilfe von Kindern, Jugendlichen und ihrer Eltern bereit mit dem Ziel, junge
Menschen in die Gesellschaft zu integrieren. Zu den möglichen Hilfen gehören u. a.
Erziehungsberatung, soziale Gruppenarbeit, Erziehungsbeistandschaft,
Vollzeitpflege und Heimerziehung. Die vorgenannten Hilfen werden von den Trägern
der Jugendhilfe grundsätzlich auf Wunsch oder im Einvernehmen mit den
sorgeberechtigten Eltern geleistet. Weigern sich Eltern, notwendige Hilfsangebote
anzunehmen oder sind sie nicht bereit, an der Abschätzung des Gefährdungsrisikos
mitzuwirken, können die Träger der Jugendhilfe das Familiengericht anrufen (§ 8a
Abs. 2 SGB VIII). Im familiengerichtlichen Verfahren erörtert das Gericht mit den
Eltern, dem Jugendamt und ggf. auch mit dem Kind, wie eine mögliche Gefährdung
des Kindeswohls abgewendet werden kann. Die Gefährdung des Kindeswohls kann
dabei insbesondere auch darin bestehen, dass weitere schwere Straftaten zu
gewärtigen sind. Die Gerichte wirken darauf hin, dass die Eltern notwendige
Leistungen der Jugendhilfe annehmen und weisen auf die andernfalls eintretenden
Konsequenzen ─ z. B. den Entzug des Sorgerechts ─ hin. Sind die Eltern nicht
gewillt oder in der Lage, eine Gefährdung des Kindeswohls abzuwenden, hat das
Familiengericht die zur Abwendung der Gefahr erforderlichen Maßnahmen zu treffen
(§ 1666 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs, BGB). Das Gericht kann die Eltern
zum Beispiel anweisen, Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe – wie etwa eine
Erziehungsberatung oder ein Antigewalttraining – in Anspruch zu nehmen oder für
den regelmäßigen Schulbesuch des Kindes zu sorgen (§ 1666 Abs. 3 BGB). Ist die
Gefahr nicht auf andere Weise abwendbar, ist auch eine Unterbringung des Kindes
in einer Pflegefamilie oder einem Heim und die Entziehung der Personensorge
zulässig (§ 1666a BGB). Es bestehen also auch bei delinquentem Verhalten
strafunmündiger Kinder geeignete rechtliche Handlungsmöglichkeiten.
Soweit sich örtlich oder in bestimmten Einzelfällen besondere Problemlagen zeigen,
gilt es, diese rechtlichen Möglichkeiten auch konsequent zu nutzen. Von wesentlicher
Bedeutung ist dabei auch eine gute Kommunikation und Kooperation zwischen
Polizei, Jugendhilfe und Familiengericht. In verschiedenen Städten und Regionen
sind inzwischen einschlägige Modellprojekte eingerichtet worden, die durchaus
erfolgreich arbeiten.
Als Argument für eine Herabsetzung des Strafmündigkeitsalters werden schließlich
mitunter auch Fälle von Kindern angeführt, die von Erwachsenen unter bewusster
Ausnutzung ihrer fehlenden strafrechtlichen Verantwortlichkeit dafür eingesetzt
werden, Straftaten zu begehen, etwa Taschendiebstähle in Fußgängerzonen oder
auf Märkten. Letztlich müssen aber diese Kinder eher ebenfalls als Opfer angesehen
werden, die von Angehörigen oder anderen älteren Personen missbraucht werden.
Um sie müssen sich nötigenfalls die Jugendhilfe und das Familiengericht kümmern.
Ein strafrechtlicher Vorwurf muss sich gegen die im Hintergrund stehenden
Erwachsenen richten. § 25 Abs. 1 StGB legt fest, dass als Täter auch bestraft wird,
„wer die Straftat … durch einen anderen begeht“. Nutzt also jemand ein Kind quasi
als „Werkzeug“ für die Begehung einer Straftat aus, hat er selbst für diese Straftat
einzustehen. Eltern, die gröblich ihre Fürsorge- oder Erziehungspflicht gegenüber
einer Person unter 16 Jahren verletzen und dadurch den Schutzbefohlenen in die
Gefahr bringen, in seiner körperlichen oder psychischen Entwicklung erheblich
geschädigt zu werden, einen kriminellen Lebenswandel zu führen oder der
Prostitution nachzugehen, machen sich im Übrigen nach § 171 StGB strafbar und
können schon deswegen mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe
belegt werden.
Im Übrigen ist – nach einem Anstieg in den 1990er Jahren – seit dem Jahr 1998 ein
sehr deutlicher Rückgang der als Tatverdächtige registrierten Kinder zu verzeichnen.
Dieser Rückgang beläuft sich nach der vom Bundeskriminalamt herausgegebenen
Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) des Bundeskriminalamts von 1998 bis 2014
hinsichtlich der Gesamtzahl auf rund 55 %, es wurden 2014 also nicht einmal mehr
halb so viele Kinder als Tatverdächtige registriert wie 1998. Wegen einer Umstellung
der Zählweise der PKS im Jahr 2009 sind die Zahlen davor und danach zwar nicht
exakt vergleichbar. Der deutliche Rückgang bis 2008 setzte sich aber auch ab 2009
konstant fort (Abnahme allein von 2009 – 2014: 29,3 %).
Vor diesem Hintergrund ist nach Auffassung des Petitionsausschusses ein Bedarf für
gesetzgeberische Maßnahmen zur Herabsetzung des Strafmündigkeitsalters derzeit
nicht gegeben. In einem einstimmigen Beschluss vom 1./2. Juni 2006 hat sich auch
die Konferenz der Justizministerinnen und Justizminister der Länder für die
Beibehaltung der geltenden Strafmündigkeitsgrenze ausgesprochen und bisher
keinen Anlass gesehen, von dieser Haltung abzuweichen.
Auch hinsichtlich des weiteren Vorbringens sieht der Petitionsausschuss keine
Veranlassung zum Tätigwerden.
Aus den genannten Gründen kann der Petitionsausschuss das Anliegen nicht
unterstützen und empfiehlt deshalb, das Petitionsverfahren abzuschließen, weil dem
Anliegen nicht entsprochen werden konnte.
Begründung (pdf)