06.07.2016, 12:15
Pet 1-18-12-9214-024970
Verkehrsordnungswidrigkeiten
Der Deutsche Bundestag hat die Petition am 09.06.2016 abschließend beraten und
beschlossen:
Das Petitionsverfahren abzuschließen, weil dem Anliegen nicht entsprochen werden
konnte.
Begründung
Mit der Petition wird gefordert, im Bußgeldkatalog bestimmte Regelsätze für
Verwarnungsgelder bei Jugendlichen von 14 bis 18 Jahren zu ermäßigen.
Zu der auf der Internetseite des Deutschen Bundestages veröffentlichten Eingabe
liegen dem Petitionsausschuss 58 Mitzeichnungen und 24 Diskussionsbeiträge vor.
Es wird um Verständnis gebeten, dass nicht auf alle der vorgetragenen
Gesichtspunkte im Einzelnen eingegangen werden kann.
Zur Begründung des Anliegens wird im Wesentlichen ausgeführt, dass die
Regelsätze im Bußgeldkatalog ab einer Höhe von mehr 5 Euro den wirtschaftlichen
Verhältnissen der Jugendlichen, die in der Regel lediglich über ein Taschengeld
verfügten, angepasst werden sollten, sofern kein Vorsatz bestehe. Ab 55 Euro solle
die Verwaltungsbehörde über die Bußgeldhöhe entscheiden. Als Beispiel wird
angeführt, dass Jugendliche bei Unterlassung der Lichtnutzung am Fahrrad bei
Dunkelheit mit mindestens 20 Euro verwarnt werden müssten, der gleichen Sanktion
der Erwachsene unterzogen würden. Dies träfe sie finanziell aber mit besonderer
Härte. Bislang sei die Halbierung des Verwarnungsgeldes bei vielen Tatbeständen
rechtswidrig. So müsse z. B. ein 14-jähriger Jugendlicher, der nicht angeschnallt als
Beifahrer in einem PKW sitze, nicht mit 15 statt 30 Euro, sondern mit mindestens
20 Euro verwarnt werden. Die das Kfz fahrende Person könne ordnungsrechtlich
nicht verfolgt werden, da 14-Jährige keine Kinder mehr seien. Auch die Nutzung
eines Mobiltelefons während der Fahrt mit dem Fahrrad werde mit 25 Euro wie bei
Erwachsenen geahndet, obwohl das Telefonieren zumeist ein fahrlässig Verhalten
der Jugendlichen sei. Nach der aktuellen Rechtslage ließe sich der Regelsatz von
25 nur auf 20 Euro vermindern. Es solle jedoch möglich sein, den Regelsatz auf
12,50 Euro festzusetzen. Diese reduzierten Regelsätze seien angesichts der
finanziellen Lage vieler Jugendlicher eine "Strafe" in ausreichender Höhe, die
präventiv und nachhaltig wirke.
Die Unmöglichkeit, das Verwarnungsgeld auf unter 20 Euro zu vermindern, da dies
die Rechtslage aktuell nicht her gebe, habe in der Vergangenheit dazu geführt, dass
Jugendliche ordnungsrechtlich von den zuständigen Amtsträgern erst gar nicht
verfolgt worden seien, da diesen die Härte, die den Jugendlichen träfe, zu hoch
erschien. In diesen Fällen sei die angestrebte präventive Wirkung jedoch verfehlt
worden, da der Jugendliche die mündliche Ermahnung ignoriert und sein Verhalten
im Straßenverkehr nicht nachhaltig geändert habe.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten zu dem Vorbringen und zur Vermeidung von
Wiederholungen wird auf die eingereichten Unterlagen verwiesen.
Der Petitionsausschuss hat der Bundesregierung Gelegenheit gegeben, ihre Ansicht
zu der Eingabe darzulegen. Das Ergebnis der parlamentarischen Prüfung lässt sich
unter Einbeziehung der seitens der Bundesregierung angeführten Aspekte wie folgt
zusammenfassen:
Der Petitionsausschuss stellt einleitend fest, dass Zweck und Funktion des
Bußgeldkatalogs ist die Gewährleistung einer möglichst adäquaten, gleichmäßigen
und damit gerechten Ahndung von massenhaft auftretenden gleichartigen Verstößen
auf der Grundlagen eines geringen Verwaltungsaufwands (Karlsruher Kommentar
zum Gesetz über Ordnungswidrigkeiten — OWiG —, 4. Auflage, § 17, Rdnr. 93). Die
gleichmäßige Behandlung von millionenfach vorkommenden Verstößen im
Straßenverkehr wird mit Hilfe von Regelfällen sichergestellt. Durch diese
Schematisierung werden unterschiedliche Beurteilungen der Verwaltungsbehörden in
allgemeinen Bewertungsfragen vermieden. Wirtschaftliche Verhältnisse bleiben bei
geringfügigen Ordnungswidrigkeiten in der Regel unberücksichtigt (§ 17 Absatz 3
Satz 2, 2. Halbsatz OWiG). Sie kommen bei Geldbußen über 35 Euro stets in
Betracht (OLG Oldenburg, NZV 1991, 82). Unterhalb von 35 Euro werden die
wirtschaftlichen Verhältnisse nur berücksichtigt, wenn sie außergewöhnlich schlecht
sind (Bundestagsdrucksache 10/2652, S. 12). Dass der Betroffene Taschengeld
empfängt, ist hierfür kein hinreichender Anhaltspunkt. Auch dann kommt es allein
darauf an, ob die wirtschaftlichen Verhältnisse von durchschnittlichen in einem so
ungewöhnlichen Maße abweichen, dass ihre Nichtberücksichtigung bei der
Bemessung der Geldbuße zu einer unverhältnismäßigen Belastung führen würde
(OLG Düsseldorf; MDR 1997, 832). Die Vernachlässigung der wirtschaftlichen
Verhältnisse des Betroffenen bei der Festsetzung der Geldbuße ist eine
unvermeidbare Folge der Entscheidung für die Verwendung eines Bußgeldkatalogs,
mit dem ein gleichförmiges Verwaltungshandeln bei der Ahndung von zahllosen
Verstößen im Straßenverkehr sichergestellt wird.
An dieser Stelle weist der Ausschuss jedoch darauf hin, dass die besondere
Lebenssituation und Schutzbedürftigkeit von Jugendlichen bei der Verfolgung und
Ahndung von Verkehrsordnungswidrigkeiten auf verschiedenen Ebenen des
Bußgeldverfahrens berücksichtigt wird:
1. Ein Bußgeldverfahren gegen Jugendliche ist von vornherein zu beenden, wenn
ihnen eine Handlung nicht vorwerfbar ist. Denn die zuständige
Verwaltungsbehörde führt ihre Ermittlungen allein auf Grund einer rechtswidrigen
und vorwerfbaren Handlung, die den Tatbestand eines Gesetzes verwirklicht, das
die Ahndung mit einer Geldbuße zulässt (§ 1 Absatz 1 OWiG). Vorwerfbar ist
einem Jugendlichen eine Handlung aber nur unter besonderen Voraussetzungen
(§ 12 Absatz 1 Satz 2 OWiG). Wer zwischen vierzehn und achtzehn Jahren alt ist
(§ 1 Absatz 2 des Jugendgerichtsgesetzes, JGG), muss zur Zeit der Tat nach
seiner sittlichen und geistigen Entwicklung reif genug sein, das Unrecht der Tat
einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln (§ 3 Satz 1 JGG). Erforderlich ist
danach neben der Reife, das Unerlaubte der Handlung einzusehen, auch die
Reife, das Verhalten der Einsicht entsprechend zu steuern. Während die
Einsichtsreife bei den hier angesprochenen Verkehrsordnungswidrigkeiten für
durchschnittlich intelligente Jugendliche aufgrund des Verkehrsunterrichts in
Schulen und der allgemeinen Verkehrsaufklärung in der Regel angenommen wird,
kann die Steuerungsreife im Einzelfall fehlen, wenn der Jugendliche durch einen
noch nicht gezügelten Spieltrieb zur Tat veranlasst wurde (vgl. Göhler, Kommentar
zum OWiG, 16. Auflage, § 12, Rdnr. 4). Nach diesen Grundsätzen muss die
Verwaltungsbehörde das Bußgeldverfahren gegen den Jugendlichen bei fehlender
Ahndungsreife des § 3 JGG durch Legalitätsentscheidung beenden (Karlsruher
Kommentar, a.a.O., § 47, Rdnr. 77).
2. Darüber hinaus unterliegt die Verfolgung einer Ordnungswidrigkeit dem
Opportunitätsgrundsatz (§ 47 Absatz 1 OWiG). Die Verwaltungsbehörde
entscheidet selbständig über Aufnahme und Einstellung des Bußgeldverfahrens
aus Gründen des öffentlichen Interesses. Bei Jugendlichen kommen auch
erzieherische Erwägungen in Betracht (Göhler, a.a.O., § 47, Rdnr. 11). Das
Absehen von der Verfolgung ist angezeigt, wenn die Ermahnung des
Jugendlichen ausreicht, um ihn künftig zur Beachtung von Ordnungsvorschriften
anzuhalten.
3. Entschließt sich die Verwaltungsbehörde zur Verfolgung und Ahndung der
Ordnungswidrigkeit, ist eine jugendgemäße Vollstreckung der Geldbuße
sichergestellt. Der Gesetzgeber hat die besonderen Belange von Jugendlichen im
Rahmen des Vollstreckungsverfahrens berücksichtigt. Auf diese Weise sollten
eine angemessene Sonderbehandlung kritischer Fälle sichergestellt und eine
uneinheitliche Rechtsanwendung bei massenhaft vorkommenden
Verkehrsordnungswidrigkeiten vermieden werden (vgl. BT-Drucksache 5/1269,
S. 39). Ausdruck dieser Entscheidung ist die Sonderregelung für das
Vollstreckungsverfahren gegen Jugendliche in § 98 OWiG. Folgerichtig stehen die
Mittellosigkeit des Jugendlichen oder erzieherische Erwägungen der Festsetzung
der Geldbuße nicht entgegen (vgl. Göhler, a.a.O., § 47, Rdnr. 21). Eine
jugendgemäße Vollstreckung ermöglichen folgende Maßnahmen:
- Mit einer Zahlungserleichterung nach § 18 Satz 1 OWiG wird dem Jugendlichen
eine Stundung bewilligt oder eine Ratenzahlung gestattet, wenn ihm nach
seinen wirtschaftlichen Verhältnissen nicht zuzumuten ist, die Geldbuße sofort
zu zahlen.
- Die Vollstreckung der Geldbuße unterbleibt nach § 95 Absatz 2 OWiG, wenn
dem Jugendlichen nach seinen wirtschaftlichen Verhältnissen die Zahlung in
absehbarer Zeit nicht möglich ist.
- Erzieherische Maßnahmen treten unter den Voraussetzungen des § 98
Absatz 1 Satz 1 OWiG an die Stelle der zu vollstreckenden Geldbuße und
eröffnen dem Jugendlichen eine alternative Erfüllungsmöglichkeit. Hierher
gehören namentlich die Erbringung von Arbeitsleistungen (Nummer I), die
Schadenswiedergutmachung (Nummer 2) und die Teilnahme an einem
Verkehrsunterricht (Nummer 3).
Der u. a. vom Petenten angesprochene Tatbestand der verbotswidrigen Nutzung
eines Mobiltelefons beim Radfahren stellt eine vorsätzlich begangene
Ordnungswidrigkeit dar (Bußgeldkatalog Abschnitt II, lfd. Nr. 246.2), die die
Verkehrssicherheit in einem hohen Maße gefährden kann. Eine fahrlässige
Begehung — auch durch Jugendliche — scheidet folglich aus.
Abschließend hält der Ausschuss vor dem Hintergrund seiner Ausführungen fest,
dass er hier keinen gesetzgeberischen Handlungsbedarf erkennen kann.
Der Petitionsausschuss empfiehlt daher, das Petitionsverfahren abzuschließen, weil
dem Anliegen, im Bußgeldkatalog bestimmte ermäßigte Regelsätze für
Verwarnungsgelder bei Jugendlichen von 14 bis 18 Jahren aufzunehmen, nicht
entsprochen werden konnte.
Begründung (pdf)