Arbeitslosengeld - Streichung der Leistungseinschränkungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch

Petent/in nicht öffentlich
Petition richtet sich an
Deutschen Bundestag
2.264 Unterstützende 2.264 in Deutschland

Der Petition wurde nicht entsprochen

2.264 Unterstützende 2.264 in Deutschland

Der Petition wurde nicht entsprochen

  1. Gestartet 2014
  2. Sammlung beendet
  3. Eingereicht
  4. Dialog
  5. Beendet

Dies ist eine Online-Petition des Deutschen Bundestags.

18.11.2015, 16:05

Pet 4-18-11-81501-011345

Arbeitslosengeld
Der Deutsche Bundestag hat die Petition am 05.11.2015 abschließend beraten und
beschlossen:

Das Petitionsverfahren abzuschließen, weil dem Anliegen nicht entsprochen werden
konnte. Begründung

Mit der Petition wird gefordert, alle Vorschriften im Zweiten Buch Sozialgesetzbuch
ersatzlos zu streichen, die besondere Einschränkungen der Rechte von
Leistungsempfängern zum Inhalt haben.
Zur Begründung wird im Wesentlichen vorgetragen, es habe sich ein
Hartz 4-Sonderrecht entwickelt. Es sei der Eindruck entstanden, dass
Leistungsbezieher nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) Bürger zweiter
Klasse seien. Hiermit werde gegen den Grundsatz der Gleichheit vor dem Gesetz nach
Art. 3 des Grundgesetzes verstoßen.
Im Einzelnen wendet sich die Petition gegen
1. die im Vergleich zum Dritten Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) weitergehende
Regelung der Zumutbarkeit von Arbeit nach § 10 SGB II,
2. die Unterschreitung des Existenzminimums durch Sanktionen ( 31 SGB II) oder
durch nicht anerkannte Kosten der Unterkunft jenseits der örtlich festgelegten
„Angemessenheitsgrenze (§ 2 Absatz 1 SGB II). So könne der Regelbedarf als
soziokulturelles Existenzminimum unterschritten werden.
3. die sofortige Vollziehbarkeit von Entscheidungen der Jobcenter nach
§ 39 Nr.1 SGB II in Abweichung vom Grundsatz der aufschiebenden Wirkung
von Rechtsbehelfen in § 86a Absatz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG),
4. die Sanktionierung von sog. falschem Verhalten bei Bewerbungen nach
§ 31 Absatz 1 Nr. 2 SGB II,

5. die Sondervorschrift des § 40 SGB II, wonach Hartz 4-Bescheide nur ein Jahr
überprüfbar seien, während im übrigen Sozialrecht eine Überprüfung vier Jahre
möglich sei,
6. den Datenabgleich und Auskunftsrechte der Jobcenter im SGB II,
7. die Nichtabführung von Beiträgen in die gesetzliche Rentenversicherung
seit 2011,
8. die Pflicht zur Inanspruchnahme vorzeitiger Altersrenten nach § 12a SGB II.
Nur eine vollständige Revision des SGB II könne hier abhelfen.
Die Eingabe wurde als öffentliche Petition auf der Internetseite des Deutschen
Bundestages eingestellt und dort diskutiert. Sie wurde von 2.264 Mitzeichnern
unterstützt, und es gingen 687 Diskussionsbeiträge ein.
Der Petitionsausschuss hat der Bundesregierung Gelegenheit gegeben, ihre Haltung
zu der Eingabe darzulegen. Das Ergebnis der parlamentarischen Prüfung lässt sich
unter anderem unter Einbeziehung der seitens der Bundesregierung angeführten
Aspekte wie folgt zusammenfassen:
Zu den einzelnen Punkten:
1. Zumutbarkeit von Arbeit nach § 10 SGB II
Bei der Eingliederung in Arbeit werden zuvorderst die beruflichen Kenntnisse und
Fähigkeiten der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten berücksichtigt. Soweit
allerdings Arbeitsplätze, die den Neigungen, Kenntnissen und Fähigkeiten einer
Person entsprechen, auf dem Arbeitsmarkt nicht vorhanden sind, entspricht es
dem Solidaritätsprinzip, dass erwerbsfähige Leistungsberechtigte alles ihnen bei
einem objektiv vernünftigen Maßstab angemessen Mögliche dazu beitragen, ihre
Hilfebedürftigkeit durch vorhandene Beschäftigungsmöglichkeiten zu beenden
bzw. zu verringern.
Die Erwerbstätigen, aus deren Steuern die Grundsicherung für Arbeitssuchende
finanziert wird, können zu Recht erwarten, dass Leistungsberechtigte, soweit es
ihnen möglich und zumutbar ist, dazu beitragen, die finanziellen Lasten für die
Allgemeinheit in Grenzen zu halten. Es entspricht dem Grundsatz der
Nachrangigkeit staatlicher Fürsorgeleistungen, dass erwerbsfähige
Leistungsberechtigte und die mit ihnen in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden
Personen alle Möglichkeiten zur Verringerung oder Beendigung ihrer

Hilfebedürftigkeit ausschöpfen müssen. Die Zumutbarkeitsregelung des § 10 SGB
II definiert in Absatz 1 die Grenzen der Zumutbarkeit. Danach ist jede Arbeit
zumutbar, es sei denn, dass die erwerbsfähige leistungsberechtigte Person zu der
bestimmten Arbeit körperlich, geistig oder seelisch nicht in der Lage ist oder die
Ausübung der Arbeit die künftige Ausübung der bisherigen überwiegenden Arbeit
wesentlich erschweren würde, weil die bisherige Tätigkeit besondere körperliche
Anforderungen stellt. Nicht zumutbar ist eine Arbeit auch dann, wenn die Ausübung
der Arbeit die Erziehung des eigenen Kindes oder des Kindes des Partners oder
der Partnerin gefährden würde. Eine Arbeit ist außerdem unzumutbar, wenn die
Ausübung der Arbeit mit der Pflege einer oder eines Angehörigen nicht vereinbar
wäre und die Pflege nicht auf andere Weise sichergestellt werden kann oder der
Ausübung der Arbeit ein sonstiger wichtiger Grund entgegensteht. Die Regeln der
Zumutbarkeit gelten für die Teilnahme an Maßnahmen zur Eingliederung in Arbeit
entsprechend. Anzumerken ist zudem, dass die Entlohnung nicht gegen
arbeitsrechtliche oder sonstige Vorschriften sowie die guten Sitten verstoßen darf.
2. Unterschreitung des Existenzminimums durch Sanktionen und nicht anerkannte
Unterkunftsbedarfe
Soweit mit der Petition eine Verletzung des Grundrechts auf Gewährleistung eines
menschenwürdigen Existenzminimums (Artikel 1 Absatz 1 i. V. m. Artikel
20 Absatz 1 GG) geltend gemacht wird, ist darauf hinzuweisen, dass das vom
Bundesverfassungsgericht (BVerfG) geschaffene Grundrecht auf Gewährleistung
eines menschenwürdigen Existenzminimums nicht nur aus Artikel 1 Absatz 1 GG
folgt und daher nicht identisch mit der Menschenwürdegarantie ist. Vielmehr
handelt es sich um ein eigenständiges Grundrecht, das auf der insofern
untrennbaren Verbindung von Artikel 1 Absatz 1 GG mit dem Sozialstaatsprinzip
beruht. Das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen
Existenzminimums unterliegt also anderen verfassungsrechtlichen Maßstäben als
die Menschenwürdegarantie selbst. Das BVerfG hat die
Ausgestaltungsbedürftigkeit dieses Grundrechts betont und festgestellt, dass die
Verfassung nicht die Gewährung bedarfsunabhängiger, voraussetzungsloser
Sozialleistungen gebietet (Nichtannahmebeschluss des BVerfG vom 7. Juli 2010,
Az.1 BvR 2556/09).
Das Grundrecht aus Artikel 1 Absatz 1 GG in Verbindung mit
Artikel 20 Absatz 1 GG greift nur dann ein, wenn und soweit andere Mittel zur

Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums nicht zur Verfügung
stehen. Nur wenn einem Menschen die zur Gewährleistung eines
menschenwürdigen Daseins notwendigen materiellen Mittel fehlen, weil er sie
weder aus seiner Erwerbstätigkeit noch aus eigenem Vermögen noch durch
Zuwendungen Dritter erhalten kann, ist der Staat im Rahmen seines Auftrages zum
Schutz der Menschenwürde und in Ausfüllung seines sozialstaatlichen
Gestaltungsauftrages verpflichtet, die Menschenwürde positiv zu schützen. Er
muss dafür Sorge tragen, dass einem hilfebedürftigen Menschen die materiellen
Voraussetzungen dafür zur Verfügung stehen, um seine Würde in solchen
Notlagen, die nicht durch eigene Anstrengung und aus eigenen Kräften
überwunden werden können, durch materielle Unterstützung zu sichern.
Die geltende Regelung im SGB II zu den Kosten der Unterkunft und Heizung ist
verfassungsgemäß. Nach dem Konzept des § 22 SGB II werden die tatsächlichen
Aufwendungen für Unterkunft und Heizung als Bedarfe berücksichtigt, soweit sie
angemessen sind. Auch unangemessen hohe Unterkunfts- und Heizkosten werden
für einen Übergangszeitraum bzw. bei Unmöglichkeit oder Unzumutbarkeit der
Kostensenkung als Bedarf anerkannt. Individuelle Bedarfe, etwa ein
behindertengerechtes Wohnen oder die besondere Bindung an das soziale
Umfeld, können im Einzelfall berücksichtigt werden. Das bedeutet, dass für den
Fall, dass eine leistungsberechtigte Person in einer Unterkunft mit unangemessen
hohen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung wohnt, zunächst für eine
Übergangszeit noch die tatsächlichen, unangemessen hohe Aufwendungen
übernommen werden, gleichzeitig aber die leistungsberechtigte Person
aufgefordert wird, die Aufwendungen zu senken (z. B. Umzug, Untervermietung,
sparsames Heizverhalten); hierbei wird von der leistungsberechtigten Person kein
unzumutbares Verhalten verlangt; vielmehr würden auch Geringverdiener, die nicht
Leistungsbezieher sind, sich um die Absenkung der unangemessen hohen
Unterkunftsaufwendungen bemühen. In gleicher Weise können sich auch
leistungsberechtigte Personen verantwortungsbewusst verhalten. Ist es möglich
und zumutbar, die Kosten auf das angemessene Maß zu senken, dann verstößt es
nicht gegen das Grundrecht auf Gewährleistung des menschenwürdigen
Existenzminimums aus Artikel 1 Absatz 1 GG in Verbindung mit Artikel 20 GG,
wenn nur noch Bedarfe in angemessener Höhe anerkannt werden. Das BVerfG hat
insoweit bestätigt, dass sich der unmittelbar verfassungsrechtliche

Leistungsanspruch auf Gewährleistung eines menschenwürdigen
Existenzminimums nur auf diejenigen Mittel erstreckt, die zur Aufrechterhaltung
eines menschenwürdigen Daseins unbedingt erforderlich sind und dass
§ 22 Absatz 1 SGB II die Übernahme angemessener Kosten für Unterkunft und
Heizung nach dem individuellen Bedarf sicherstellt (Urteil des BVerfG vom
9. Februar 2010, Az. 1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09, 1 BvL 4/09, Rn. 135, 148 - juris).
Das Prinzip des Förderns und Forderns besagt, dass eine Person, die mit dem
Geld der Steuerzahler in einer Notsituation unterstützt wird, mithelfen muss, ihre
Situation zu verbessern. Wird eine erwerbsfähige Person durch die Gemeinschaft
unterstützt, muss sie deshalb alles unternehmen, um ihren Lebensunterhalt wieder
selbst aus Erwerbstätigkeit zu bestreiten oder zumindest das Ausmaß von
Hilfebedürftigkeit zu vermindern. Das Einfordern von eigenen Anstrengungen zählt
zu den Grundprinzipien bedarfsabhängiger und am Fürsorgeprinzip orientierter
Sozialleistungen. Dieses auch als Selbsthilfegrundsatz bezeichnete Prinzip ist
gesellschaftlich anerkannt und auch verfassungsrechtlich begründbar (vgl. Urteil
des Bundessozialgerichts vom 9. November 2010, Az. B 4 AS 27/AS R).
Wiederholte Verstöße gegen die Selbsthilfeobliegenheit führen daher folgerichtig
zu verstärkten Sanktionen. Bedarfsabhängige und am Fürsorgeprinzip orientierte
Sozialleistungssysteme sind nur funktionsfähig, wenn dieser Grundsatz
konsequent angewandt wird. Ein Verzicht auf die Einforderung eigener Kräfte und
Mittel der Individuen würde hingegen bedarfsabhängige und am Fürsorgeprinzip
orientierte Sozialleistungssysteme in allgemeine und von Eigenverantwortung
unabhängige Versorgungssysteme umwandeln. Mit den Regelungen der
§§ 31 ff. SGB II existiert ein Mechanismus, um auf Pflichtverletzungen von
Leistungsberechtigten nach dem SGB II angemessen zu reagieren.
Pflichtverletzungen sind z. B. die Nichtaufnahme einer zumutbaren Arbeit,
Ausbildung oder Arbeitsgelegenheit, der Nichtantritt oder Abbruch einer
Eingliederungsmaßnahme sowie das Nichterscheinen nach einer
Meldeaufforderung der Grundsicherungsstelle. Eine Pflichtverletzung ohne
Vorliegen eines wichtigen Grundes führt zu einer Minderung bzw. kann im
Wiederholungsfalle zu einem Wegfall des Arbeitslosengeldes II (Regelbedarf,
Mehrbedarfe, Leistungen für Unterkunft und Heizung) führen.
Die §§ 31 ff. SGB II tragen auch den Anforderungen der Rechtsprechung des
BVerfG zum Schutz des Grundrechts auf ein menschenwürdiges Existenzminimum

hinreichend Rechnung. Das BVerfG hat festgestellt, dass es dem Gesetzgeber
überlassen bleiben muss, ob er den Bedarf über Geld-, Sach- oder
Dienstleistungen decken will. Bei den von einer Sanktion nach §§ 31 ff. SGB II
Betroffenen bleibt das Existenzminimum gewahrt. Dem dienen die bestehenden
differenzierten Regelungen, zu denen neben der gestuften Minderung des
Arbeitslosengeldes II die Möglichkeit gehört, (ergänzende) Sachleistungen oder
geldwerte Leistungen – etwa durch Ausgabe von Lebensmittelgutscheinen – sowie
Direktzahlungen an Vermieter und z. B. Versorgungsdienstleister zu erbringen (vgl.
§ 31a SGB II).
3. Sofortige Vollziehbarkeit von Entscheidungen der Jobcenter
Nach § 39 Nr. 1 SGB II haben Widerspruch und Anfechtungsklage keine
aufschiebende Wirkung gegen einen Verwaltungsakt, der Leistungen der
Grundsicherung für Arbeitsuchende aufhebt, zurücknimmt, widerruft, die
Pflichtverletzung und die Minderung des Auszahlungsanspruchs feststellt oder
Leistungen zur Eingliederung in Arbeit oder Pflichten erwerbsfähiger
Leistungsberechtigter bei der Eingliederung in Arbeit regelt. Ausnahmen vom
Grundsatz der aufschiebenden Wirkung (Suspensiveffekt) sind - wie in der
Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) - auch im SGG selbst (§ 86a Absatz 2 SGG)
geregelt. So entfällt beispielsweise in Angelegenheiten des sozialen
Entschädigungsrechts und der Bundesagentur für Arbeit sowie für
Anfechtungsklagen in Angelegenheiten der Sozialversicherung bei
Verwaltungsakten, die eine laufende Leistung herabsetzen und entziehen, die
aufschiebende Wirkung (§ 86a Absatz 2 Nummer 2 und 3 SGG). Im Übrigen
verweist das SGG ausdrücklich darauf, dass auch in anderen durch Bundesgesetz
vorgeschriebenen Fällen die aufschiebende Wirkung entfällt (§ 86a Absatz 2
Nummer 4 SGG). Neben der Ausnahme für bestimmte Entscheidungen im Bereich
des SGB II bestehen auch in weiteren Sozialgesetzbüchern Ausnahmen. Funktion
der aufschiebenden Wirkung ist die Vermeidung vollendeter, irreparabler
Tatsachen, bevor die Rechtmäßigkeit der Entscheidung geprüft werden kann. Der
aufschiebenden Wirkung kommt damit eine verfassungsrechtliche Funktion im
Bereich der Garantie des effizienten Rechtsschutzes zu (Artikel 19 Absatz 4 GG).
Artikel 19 Absatz 4 GG gewährleistet allerdings nicht die aufschiebende Wirkung
von Rechtsbehelfen schlechthin (Beschluss des BVerfG vom 30. Oktober 2009,
Az. 1 BvR 2395/09, Rn. 6), vielmehr kann das Vollziehungsinteresse vorrangig

sein, wie dies typisierend in den Fällen des § 39 Nummer 1 SGB II angenommen
wird, der durch die gesetzliche Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit bezweckt,
eine spätere Rückforderung zu vermeiden, die nicht mehr oder nur schwer
durchsetzbar wäre. Das BVerfG hat die Vereinbarkeit von § 39 SGB II mit Artikel 19
Absatz 4 GG festgestellt und ausgeführt, dass es erforderlich, aber auch
ausreichend ist, dass der Betroffene trotz einer von Gesetzes wegen fehlenden
aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs oder seiner Klage die Möglichkeit
hat, effektiven - vorläufigen - Rechtsschutz durch eine gerichtliche Anordnung der
aufschiebenden Wirkung zu erhalten und dass diese Möglichkeit durch § 86b
Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 SGG hinreichend gewährleistet ist.
4. Sanktionierung von sogenannten falschem Verhalten nach § 31 Absatz 1 Satz 1
Nummer 2 SGB II
Im Zuge des Verwaltungsverfahrens zum Erlass eines Verwaltungsaktes, der in die
Rechte eines Beteiligten eingreift - das betrifft auch Sanktionsbescheide -, hat das
Jobcenter von Amts wegen den Sachverhalt aufzuklären. Hierzu nutzen die
Jobcenter auch Rückmeldungen der Arbeitgeber, um Erkenntnisse über den Erfolg
und Verlauf der von den Jobcentern erstellten Vermittlungsvorschläge
(Arbeitsangebote bei Arbeitgebern) zu gewinnen. Die Erkenntnisse aus den
Angaben der Arbeitgeber haben darüber hinaus Bedeutung für den
Integrationsprozess, etwa hinsichtlich der Passgenauigkeit des
Vermittlungsvorschlags (sog. „Matching“) und der Zufriedenheit mit den
Vermittlungsvorschlägen. Den Rückmeldungen der Arbeitgeber kommt mithin
Bedeutung im gesamten Verfahren zu, nicht lediglich für die Feststellung von
Pflichtverstößen.
Nach § 24 SGB X hat das Jobcenter die Beteiligten vor Erlass des
Verwaltungsaktes zu beteiligen und der leistungsberechtigten Person im Rahmen
der Sachverhaltsaufklärung Gelegenheit zu gegeben, sich zum Sachverhalt und
dem Vorliegen gegebenenfalls wichtiger Gründe für das Nichtzustandekommen
eines Arbeitsverhältnisses zu äußern. Er oder sie wird darauf hingewiesen, dass
der tatsächliche Vorgang zu ermitteln sei und ihm deshalb die Möglichkeit gegeben
werde, sich zu äußern. Der erwerbsfähigen leistungsberechtigten Person steht
damit offen, sich auch zu den Einschätzungen des Arbeitgebers über das
Bewerbungsverfahren oder -gespräch zu äußern. Erst die gesamte

Sachverhaltsaufklärung einschließlich der Erkenntnisse aus der Anhörung des
betroffenen Leistungsberechtigten bildet dann die Grundlage für die Feststellung
des Jobcenters, ob im konkreten Fall Mitwirkungspflichten verletzt worden sind
oder nicht. Folge der Feststellungen sind dann gegebenenfalls Sanktionen. Durch
die Anhörung des Leistungsberechtigten besteht nicht die Gefahr von
Willkürentscheidungen.
5. Rückwirkende Überprüfbarkeit von bestandskräftigen Entscheidungen
Der Grundsatz der Bestandskraft von Verwaltungsakten ist in § 77 SGG geregelt.
Danach ist ein Verwaltungsakt für die Beteiligten in der Sache bindend, wenn der
gegen einen Verwaltungsakt gegebene Rechtsbehelf nicht oder erfolglos eingelegt
wird und soweit durch Gesetz nichts anderes bestimmt ist. Den
Bescheidadressaten stehen auch im Bereich des SGB II Rechtsbehelfe gegen sie
belastende Entscheidungen innerhalb der gesetzlichen Fristen zu; werden
Rechtsbehelfe/Rechtsmittel nicht, nicht rechtzeitig oder erfolglos eingelegt, tritt
Bestandskraft ein, die der Rechtssicherheit dient. Den Grundsatz der Bindung an
bestandskräftige Entscheidungen durchbrechend ist in § 44 des Zehnten Buches
Sozialgesetzbuch (SGB X) eine Überprüfungsmöglichkeit für belastende
Bescheide eröffnet; rückwirkend (vier Jahre) können Sozialleistungen zu erbringen
sein. Zweck hiervon ist es, materielle Gerechtigkeit zu Gunsten des Bürgers
herzustellen - dem individuellen Interesse wird hier gegenüber der
Rechtssicherheit bei Bestandskraft Vorrang eingeräumt. Da die Leistungen nach
dem SGB II vor allem der aktuellen Bestreitung des Lebensunterhalts dienen, ist
eine Begrenzung der Nachzahlungszeiträume im SGB II - ebenso wie dies im
Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) gilt (§ 116a SGB XII) - sachgerecht. Die
vom SGB X abweichende zeitliche Begrenzung für die rückwirkende Erbringung
von Sozialleistungen im SGB II auf ein Jahr verstößt auch nicht gegen das
Grundgesetz. Das BVerfG hat darauf hingewiesen, dass dem Grundgesetz keine
allgemeine Verpflichtung der vollziehenden Gewalt zu entnehmen sei, rechtswidrig
belastende und rechtswidrig begünstigende Verwaltungsakte unbeschadet des
Eintritts ihrer formellen Bestandskraft von Amts wegen oder auf Antrag des
Adressaten aufzuheben oder abzuändern (Beschluss des BVerfG vom
27. Februar 2007, Az. 1 BvR 1982/01, Rn. 33).
6. Datenabgleich und Auskunftsrechte

Hinsichtlich des Datenabgleichs und der Auskunftspflicht von Banken nach § 60
Absatz 2 Satz 1, 2. Halbsatz SGB II ist auszuführen, dass Jobcenter darauf
angewiesen sein können, Informationen von Banken zu erhalten; sie dienen dazu,
u. a. den berechtigten Leistungsbezug sicherzustellen und unberechtigten
Leistungsbezug aufzudecken. Die Auskünfte von Banken und Versicherungen
stehen im Zusammenhang mit der Vorschrift des § 45d Einkommenssteuergesetz
(EStG), wonach das Bundeszentralamt für Steuern den Sozialleistungsträgern
Daten über Kapitalerträge übermittelt, soweit sie zur Überprüfung des bei der
Sozialleistung zu berücksichtigenden Einkommens oder Vermögens erforderlich
sind. Ergeben sich aus den übermittelten Daten Hinweise auf beim
Leistungsbezieher vorhandenes Einkommen/Vermögen, das nicht angegeben
wurde, kann es erforderlich sein, Auskünfte über nicht angegebene Konten
einzuholen. Es ist legitim, Leistungsmissbrauch aufzudecken und zu bekämpfen;
dies erfolgt auch im Interesse der berechtigt SGB II-Leistungsbeziehenden. Die
Leistungsberechtigten werden nicht unter Generalverdacht gestellt. Die
automatisierte Form des Datenabgleiches (§ 52 SGB II) ist sinnvoll, weil sie eine
effektive Maßnahme zur Aufdeckung des Leistungsmissbrauchs in einem
Massenverfahren der Grundsicherung für Arbeitsuchende bietet. Die Verwaltung
hat zugunsten der Leistungsberechtigten ihre Ressourcen effektiv zu nutzen und
daher Verwaltungsaufwand zu reduzieren; sie ist auf ein automatisiertes Verfahren
angewiesen.
7. Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung
Durch das Haushaltsbegleitgesetz vom 9. Dezember 2010 (BGBl. I S. 1885)
werden seit dem 1. Januar 2011 keine Beitragszahlungen zur Rentenversicherung
für Beziehende von Arbeitslosengeld II geleistet. Aufgrund des Wegfalls der
Beitragszahlung für Beziehende von Arbeitslosengeld II werden die Zeiten des
Leistungsbezugs nicht mehr als Pflichtbeitragszeiten in der gesetzlichen
Rentenversicherung berücksichtigt. Daraus ergibt sich bei den Altersrenten eine
Rentenminderung von derzeit bis zu 2,09 Euro pro Jahr des Leistungsbezugs.
Die Zeit des Bezuges von Arbeitslosengeld II wird als Anrechnungszeit
berücksichtigt. Hierdurch werden Lücken in der Versicherungsbiografie vermieden
und bereits bestehende Anwartschaften auf Erwerbsminderungsrenten und
Leistungen zur Teilhabe weiterhin aufrechterhalten. Zum Verlust eines bereits

bestehenden Anspruchs auf Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit oder
Leistungen zur Teilhabe kann es durch den Wegfall der Versicherungspflicht und
damit den Wegfall der Beitragszahlung für Arbeitslosengeld II-Bezieher folglich
nicht kommen.
Alle Personen, die vor dem 1. Januar 2011 die versicherungsrechtlichen
Voraussetzungen für einen Anspruch auf Erwerbsminderungsrente jedoch noch
nicht erfüllt haben, danach aber dauerhaft Arbeitslosengeld II beziehen, können
einen Anspruch auf Erwerbsminderungsrente oder Leistungen zur Teilhabe nicht
neu erwerben. Leistungen zur Teilhabe werden dafür systemgerecht in anderen
Sozialsystemen erbracht.
Die Anrechnungszeit wegen des Bezuges von Arbeitslosengeld II wird unbewertet
sein. Das heißt, aus der Anrechnungszeit wegen des Bezuges von
Arbeitslosengeld II ergibt sich unmittelbar keine Erhöhung der Rente; es können
sich aber positive Effekte auf die Höhe der Bewertung anderer beitragsfreier Zeiten
ergeben. Dies betrifft in erster Linie die Zurechnungszeit bei den Renten wegen
verminderter Erwerbsfähigkeit und den Renten wegen Todes.
Der Wegfall der Rentenversicherungspflicht für Bezieher von Arbeitslosengeld II ist
systemgerecht. Bei der Grundsicherung für Arbeitsuchende handelt es sich um ein
Fürsorgesystem. Die Leistungen eines Fürsorgesystems dienen dazu, akute
Hilfebedürftigkeit zu beseitigen. Dagegen ist es nicht Aufgabe eines
Fürsorgesystems, aus Steuermitteln Beiträge in ein Versicherungssystem
einzubringen und damit versicherungsrechtliche Ansprüche aufzubauen. Für eine
Hilfebedürftigkeit im Alter gibt es systemgerecht die Grundsicherung im Alter nach
dem SGB XII.
8. Verpflichtung zur Inanspruchnahme vorzeitiger Altersrenten § 12a SGB II
Die Vorschrift des § 12a SGB II beruht auf dem Grundsatz des Nachrangs der
Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II. Danach sind
Leistungsberechtigte verpflichtet, Sozialleistungen anderer Träger in Anspruch zu
nehmen und die dafür erforderlichen Anträge zu stellen, sofern dies zur
Vermeidung, Beseitigung, Verkürzung oder Verminderung der Hilfebedürftigkeit
erforderlich ist. Für die verpflichtende Inanspruchnahme einer Rente wird in Satz 2
eine Ausnahme geregelt (keine vorzeitige Inanspruchnahme einer Altersrente bis
zur Vollendung des 63. Lebensjahres). Die auf Grundlage des § 13 Absatz 2 SGB

II erlassene Unbilligkeitsverordnung bestimmt weitere Ausnahmen von der Pflicht
zur vorzeitigen Inanspruchnahme der Altersrente bei Unbilligkeit.
Der Ausschuss hält die geltende Rechtslage für sachgerecht und vermag sich nicht für
eine Gesetzesänderung im Sinne der Petition einzusetzen.
Der Petitionsausschuss empfiehlt daher, das Petitionsverfahren abzuschließen, weil
dem Anliegen der Petition nicht entsprochen werden konnte.
Der von den Fraktionen DIE LINKE. und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gestellte Antrag,
die Petition der Bundesregierung – dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales –
als Material zu überweisen, ist mehrheitlich abgelehnt worden.Begründung (pdf)


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