2016. 07. 06. 12:15
Pet 3-18-11-84-022685
Entschädigung der Opfer von
Gewalttaten
Der Deutsche Bundestag hat die Petition am 09.06.2016 abschließend beraten und
beschlossen:
Die Petition
a) der Bundesregierung - dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales - als Material
zu überweisen,
b) den Fraktionen des Deutschen Bundestages zur Kenntnis zu geben.
Begründung
Mit der Petition wird gefordert, die Verfahrensweise in der Umsetzung des
Opferentschädigungsgesetzes so zu verändern, dass eine Retraumatisierung der
Opfer vermieden wird.
Der Petent wendet sich als Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie an den
Petitionsausschuss und setzt sich vor dem Hintergrund seiner Berufserfahrung mit
traumatisierten Patientinnen für eine Verbesserung bei der Umsetzung des
Opferentschädigungsgesetzes (OEG) ein. Er legt im Einzelnen dar, dass mehrere
seiner Patientinnen in ihrer Kindheit sexuell traumatisiert worden seien und
Entschädigungsmaßnahmen gemäß OEG beantragt hätten. Die sehr rigide und für die
Betroffenen belastende Verfahrensweise des dafür zuständigen
Landschaftsverbandes Rheinland (LVR) in Köln führe bei diesen zu massiven
Belastungen. So würden wahlweise Explorationen durch die (seiner Meinung nach
nicht psychotherapeutisch oder psychologisch ausgebildeten) Mitarbeiter durchgeführt
oder mehrstündige aussagepsychologische Begutachtungen in Auftrag gegeben. Er
habe in einem Telefonat eine der Mitarbeiterinnen darauf angesprochen, die jedoch
das eigene Verhalten als behutsam und risikobewusst angesehen habe. Sie habe
auch ausgeführt, es gehe aber schließlich auch „um viel Geld“. Er würde inzwischen
– wie auch andere Kollegen – den Betroffenen abraten, ihre Ansprüche über das OEG
anzumelden, um ihnen diese schweren Belastungen zu ersparen. Er könne sich nicht
vorstellen, dass die beschriebene Verfahrensweise den Sinn des Gesetzes wirklich
widerspiegele. Er bitte daher um entsprechende Präzisierung der
Ausführungsbestimmungen des Gesetzes.
Der Petent hatte sich parallel zu dieser Petition an den Petitionsausschuss des
Deutschen Bundestages mit einer weiteren Petition auch an den Landtag Nordrhein-
Westfalen gewandt. Bei dem dortigen Petitionsverfahren liegt der Schwerpunkt auf der
Zuständigkeit des Landes für die Praxis der Umsetzung des OEG.
Zu dieser als öffentliche Petition zugelassenen Eingabe sind zwei Diskussionsbeiträge
und 126 Mitzeichnungen eingegangen.
Der Petitionsausschuss hat der Bundesregierung Gelegenheit gegeben, ihre Haltung
zu der Eingabe darzulegen. Das Ergebnis der parlamentarischen Prüfung lässt sich
u. a. unter Einbeziehung der seitens der Bundesregierung angeführten Aspekte wie
folgt zusammenfassen:
Nach den bisherigen Regelungen des OEG steht Personen, die durch tätliche Angriffe
eine gesundheitliche Schädigung erlitten haben, ein breites Spektrum an Leistungen
zur Verfügung. Das bedeutet aber, dass im Verfahren zu klären ist zum einen, ob die
betreffende Person eine Gewalttat erlebt hat, und zum anderen, ob die bei ihr
vorliegende gesundheitliche Schädigung kausal auf diese Tat zurückzuführen ist. Die
zuständige Behörde, im vorliegenden Fall der LVR, muss dazu im Rahmen der
Amtsermittlung Feststellungen über das Vorliegen einer Gewalttat treffen.
Belastungen für die Betroffenen, die einen Antrag gestellt haben, sollen dabei natürlich
möglichst vermieden werden. Dem Petenten ist hier ohne Abstriche zuzustimmen. So
werden beispielsweise für die Ermittlung des Tatherganges gerichtliche oder
staatsanwaltliche Akten herangezogen, sofern sie vorhanden sind. Bei lange
zurückliegenden und damals nicht verfolgten Straftaten ist dies allerdings oft nicht
möglich. Dann muss sich die betreffende Person, die den Antrag gestellt hat, auch
zum Tathergang äußern. Vermutlich betrifft dies die vom Petenten angesprochenen
Patientinnen, bei denen es um sexuelle Traumatisierungen in der Kindheit geht. Die
entsprechende Befragung ist jedoch nicht, wie der Petent meint, eine „Exploration“ im
Sinne einer medizinischen Anamnese, sondern gehört zu den Verwaltungsaufgaben
und Kompetenzen der Mitarbeiter der zuständigen Behörde. In Fällen, in denen die
Glaubhaftigkeit der Angaben schwer zu beurteilen ist, k a n n die Behörde ein
aussagepsychologisches Gutachten in Auftrag geben. Dies ist jedoch eher die
Ausnahme. Dieses aussagepsychologische Gutachten ist zu unterscheiden vom
versorgungsmedizinischen Gutachten, in dem der Grad der auf die Gewalttat
wahrscheinlich kausal zurückzuführenden Schädigungsfolgen festgestellt wird, nach
dessen Höhe sich dann die Leistungen richten. Zu diesem versorgungsmedizinischen
Gutachten werden auch vorliegende ärztliche Befundberichte einbezogen.
Wie dem Petenten bekannt ist, führen die Länder das OEG als eigene Angelegenheit
durch. Der Bund hat kein Weisungsrecht. Aber sowohl der Bund als auch die Länder
haben die Notwendigkeit von Verbesserungen erkannt und daher in den vergangenen
Jahren vieles angestoßen, um die Durchführung des Verfahrens im Sinne der
betroffenen Personen zu verbessern. So haben die Länder Trauma-Ambulanzen
eingeführt, um nach einer Gewalttat niedrigschwellige Hilfen anzubieten. Einige
Behörden haben ein Fallmanagement eingeführt, das die Betroffenen durch das OEG-
Verfahren begleitet. Untersuchungen haben bereits gezeigt, dass diese Instrumente
hilfreich für die Betroffenen sind.
Im Sinne des vom Petenten vorgetragenen Anliegens führt das Bundesministerium für
Arbeit und Soziales (BMAS) einmal jährlich einen OEG-Workshop für
Sachbearbeiterinnen und Sachbearbeiter der entsprechenden Behörden aus den
Ländern durch, bei denen ein sensibler Umgang mit den Betroffenen und die
Verbesserung der Kommunikation im Mittelpunkt stehen.
Dies ist ein guter Ansatz für notwendige Verbesserungen, aber sicher noch nicht
ausreichend.
Die Koalitionspartner der laufenden Legislaturperiode haben daher beschlossen, das
gesamte Entschädigungsrecht, zu dem das OEG gehört, in einem zeitgemäßen
Regelwerk neu zu ordnen. Hierbei soll u. a. den neuen Erkenntnissen im Bereich der
psychischen Gewalt Rechnung getragen werden und Opfern von Gewalttaten ein
schneller und unbürokratischer Zugang zu Sofortmaßnahmen verschafft werden (z. B.
durch mehr Trauma-Ambulanzen) einschließlich professioneller Beratung. Eines der
wichtigsten Anliegen im Rahmen der Arbeit an dem neuen Gesetz ist es, durch
Erleichterungen im Verfahren und die Einführung schneller Hilfen eine
Retraumatisierung von Gewaltopfern zu vermeiden.
Vor diesem Hintergrund hält der Petitionsausschuss die vorliegende Petition, die
genau diesen zuletzt genannten Aspekt anspricht, für geeignet, in die derzeitigen
Gesetzesvorbereitungen einbezogen zur werden. Der Petitionsausschuss empfiehlt
daher einstimmig, die Petition der Bundesregierung - dem Bundesministerium für
Arbeit und Soziales - als Material zu überweisen, und den Fraktionen des Deutschen
Bundestages zur Kenntnis zu geben.
Begründung (pdf)