09. 02. 2015. 21:21
FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG
Feuilleton MONTAG, 9. FEBRUAR 2015 · NR. 33 · SEITE 9
Die Basta-Politik des Ministerpräsidenten ist ein Menetekel für das Münchner Musikleben. Die Stadt braucht einen neuen Konzertsaal, wenn sie akustisches Weltniveau erreichen will. Vorbilder gibt es genug.
Wer meint, mit klassischer Musik könne man keine Quote machen, weil sie ja eh nur von einer privilegierten, elitären, dazu immer älter werdenden und bald ganz aussterbenden Minderheit goutiert werde, der kann sich jetzt im Freistaat Bayern vom krassen Gegenteil überzeugen. Dort hat die Münchner Konzertsaal-Debatte, deren Bart schon grau geworden war und am Boden schleifte, eine neue Qualität erreicht. Alle sind jetzt wütend. Jeder redet jetzt mit.
Mit der Wucht des Widerspruchs, die ihm entgegenschlägt, mag nicht einmal Ministerpräsident Horst Seehofer gerechnet haben, als er am Montag verkündete: Der neue Konzertsaal in München wird nicht gebaut. Basta. Seehofer hat ganz offenbar die politische Sprengkraft dieses „weichen“ Themas unterschätzt. Auf jeden Fall aber hat er sich bei diesem Alleingang, den er nachträglich von der CSU-Landtagsfraktion absegnen ließ, überschätzt. Nicht einmal alle seine Parteifreunde heißen die Entscheidung nachträglich gut. Nicht nur München ist erschüttert, ganz Bayern, die halbe Welt.
17 000 Bürger unterzeichneten bereits eine Petition, nur ein Drittel davon sind betroffene Münchner. Künstler unterbrechen ihre Konzerte und fordern das Publikum auf, zu unterschreiben. Es zeichnen und twittern und simsen auch Menschen, die lieber Popmusik hören oder die den umstrittenen, zur „Entkernung“ freigegebenen Gasteig höchstens mal im Fernsehen gesehen haben, weil sie weit weg auf dem Land wohnen; die sich aber gleichwohl empören über Münchens „hinterfotzige Hintertreppenpolitik“ und darauf bestehen, dass die bayerische Landeshauptstadt mit attraktiver Hochkultur ähnlich anständig ausgestattet werden muss wie andere Hauptstädte auch.
Außerdem ist der Bayer empfindlich, wenn Chefs etwas anderes tun, als sie sagen. Die Geigerin Anne Sophie Mutter hatte darauf aufmerksam gemacht, dass sowohl Seehofer wie auch Kunstminister Ludwig Spaenle „Wortbruch“ begangen hätten. In der Regierungserklärung habe doch gestanden: Ja, es werde ein neuer Konzertsaal für München gebaut. Jetzt ist nurmehr vom Umbau des alten die Rede. „Umbau ist kein Neubau“, sagt Mutter. Sie schäme sich, als Münchnerin, für München. Aus den Reihen der CSU schallt es bajuwarisch grob zurück: Frau Mutter habe wohl einen „Knall“.
Die Wahl der Waffen, das Sujet, vor allem die Heftigkeit, mit der die Diskussion geführt wird, mag Nichtmünchner in Erstaunen versetzen. Ein dritter Konzertsaal? Ja, sind die denn größenwahnsinnig? Entfernt erinnert die Debatte an jene andere Endlos-Fruchtlos-Diskussion, die Mitte der Neunziger in Berlin geführt wurde um die Frage: Wozu braucht diese Stadt drei Opernhäuser? Heute stellt sich diese Frage keiner mehr. Was aber hat sich geändert seit 1995, dass diese einst brandheiße Frage heute so erkaltet ist? Offen gesagt: nichts. Nicht mal die Apanage wurde nennenswert erhöht. Nur Blüte, Prosperität und die Macht des Faktischen. Das reicht aus, um auch noch dem vernageltsten, ehrgeizigsten Lokalpolitiker klarzumachen, dass er mit der Opernfrage keinen Blumentopf mehr gewinnen kann.
München ist anders. War Berlin in den Neunzigern noch im Umbruch, „arm, aber sexy“, dann geht es den Münchnern nach wie vor einfach nur gut. Seit mehr als zehn Jahren streiten sie sich, ob die Stadt diesen Konzertsaal braucht und, wenn ja, wo er gebaut und von wem er bezahlt werden sollte.
Siebzehn Standorte wurden schon durchgehechelt – folgenlos. Ein halbes Dutzend Lokalpolitiker kamen, profilierten sich, gingen wieder. Klotz am Bein der Debatte ist der Umstand, dass die Stadt, die als Bauherrin auftritt, fest in der Hand der SPD ist; und das Land, welches Geld und Argumente liefert, ist fest in der Hand der CSU. Infolgedessen geht es ums Prestige, Männerfreundschaft, um alles Mögliche. Nur nicht zur Sache.
Diesen gordischen Knoten hatten Seehofer und Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) mit der Axt zerschlagen wollen. Ersatzweise, hieß es, solle der Gasteig entkernt und umgebaut werden. Beim Gasteig handelt es sich um ein typisches Achtziger-Jahre-SPD-Multifunktions-Kulturzentrum, das einen überdimensionierten, für nicht-mikrofonierte Konzerte untauglichen Mehrzwecksaal beherbergt, um dessen Belegung zwei der drei großen Münchner Orchester mit den Münchner Konzertveranstaltern seit Jahrzehnten rangeln. 2020, im Beethoven-Jahr, soll der Umbau beginnen. Er soll etwa „zwei, drei, vier oder fünf Jahre“ (Seehofer) dauern. Ziel ist ein Konzertsaal mit etwa gleicher Platzkapazität, um den weiter gerangelt werden darf, nur mit nunmehr eingebautem „akustischem Weltniveau“ (Reiter).
Was ist das? Herr Reiter wird es nicht sagen können, nicht mal die besten Akustik- designer der Welt, Yasuhisa Toyota aus