30/04/2013 à 20:03
Meinung
Grüner Ungeist gegen Mendelssohn
Kolumne von Götz Aly
Die Grünen aus Friedrichshain-Kreuzberg wollen den Platz am Jüdischen Museum nicht Moses-Mendelssohn-Platz nennen. Sie zeigen damit auf traurige Weise, wie sehr Berlin Menschen vom Geiste Moses Mendelssohns fehlen.
Künftig soll der Platz am Jüdischen Museum Fromet-und-Moses-Mendelssohn-Platz heißen. Für dieses Wortungetüm stimmten die von den Grünen dominierten Bezirksverordneten von Friedrichshain-Kreuzberg. Damit ignorierten sie den Wunsch der Museumsleitung, Moses Mendelssohn nicht als Ehegatten von Fromet zu familiarisieren, sondern ihn als Vorkämpfer jüdisch-deutscher und deutsch-jüdischer Aufklärung zu ehren. In dieser Eigenschaft steht er für einen glücklichen Moment in der Geschichte Berlins.
Seine Ideen für ein gedeihliches Zusammenleben unterschiedlicher Menschen entfalteten universelle Kraft und setzen Maßstäbe bis in die Gegenwart. Zudem ignorierten die Grünen eine Petition zugunsten von Moses Mendelssohn, der binnen weniger Tage mehr als 2000 Bürgerinnen und Bürger beitraten. Sind 5000 Unterschriften beisammen, muss sich der Senat mit der Sache befassen. Für die fehlenden knapp 2500 besteht noch eine gesetzliche Frist von 75 Tagen. Falls Sie, liebe Leserinnen und Leser, für Mendelssohn votieren möchten, sollten Sie (elektronisch) unterzeichnen. Mit den Begriffen „openpetition“ und „Mendelssohn“ finden Sie das Formular im Internet.
Bürgerwünsch wird mit Füßen getreten
Am vergangenen Mittwoch hatten die Grünen folgende Varianten zur Abstimmung gestellt: 1. Moses Mendelssohn; 2. die 19 Jahre vor ihrem Tod getaufte Rahel Varnhagen; 3. das Ehepaar Fromet und Moses Mendelssohn. Der Skandal liegt darin, dass Moses Mendelssohn als erster niedergestimmt wurde – einziger Grund: falsches Geschlecht. Zu Lebzeiten gehörte er der falschen Religion an, später, 1933, der falschen Rasse. Die Grünen setzen die Logik der Exklusion fort. Von weltanschaulicher Rechthaberei getrieben, treten sie wohlbegründete Bürgerwünsche mit Füßen. Das können weltoffene, geschichtsbewusste Berlinerinnen und Berliner nicht hinnehmen. „Werk ohne Geist“, so hätte Mendelssohn das grüne Machtgehabe genannt. Doch von ihm und seinen Texten haben die Bezirksfunktionäre keinen Schimmer.
Dogmatische Verstocktheit
Wenn diese Namensdiktator-en/-innen wenigstens gelesen hätten, wie die Historikerin Selma Stern (1890-1981) Mendelssohn würdigte. Hier nur ein Satz aus ihrem bedeutenden Siebenbänder „Der preußische Staat und die Juden“: „Scheinbar mühelos, scheinbar ohne geistige Anstrengung, fast traumwandlerisch sicher, als folge er einem an ihn ergangenen geheimnisvollen Auftrag, getrieben von einem unersättlichen Durst nach Wissen und Erkenntnis, nach Aufhellung aller Rätsel, die Natur und Menschen ihm stellten, geleitet von der sanften Hand seines Freundes Lessing, aus dessen Unterhaltung er unaufhörlich neue Ideen des Guten und Schönen schöpfte, vollzog Moses Mendelssohn den Übergang vom Ghetto in die europäische Kultur ohne einen sichtbaren seelischen Konflikt oder einen bemerkbaren inneren Bruch.“
Der so Gelobte beurteilte jeden Menschen für sich, und zwar „nach den Sitten, Gewohnheiten und Kenntnissen seiner Zeit und in Vergleichung mit seinen Mitmenschen“ – „ohne Phantome im Kopf zu haben, die einen schwindlig machen“. Damit meinte er dogmatische Verstocktheit und Ressentiments. Die Grünen von Friedrichshain-Kreuzberg zeigen auf traurige Weise, wie sehr Berlin Menschen vom Geiste Moses Mendelssohns fehlen.
Götz Aly ist Historiker.