23/03/2017, 3:22 π.μ.
Pet 3-18-11-2171-023226
Hilfe für Menschen mit Behinderung
Der Deutsche Bundestag hat die Petition am 09.03.2017 abschließend beraten und
beschlossen:
Das Petitionsverfahren abzuschließen, weil dem Anliegen nicht entsprochen werden
konnte.
Begründung
Der Petent bittet um Freifahrt in allen öffentlichen Verkehrsmitteln, Anerkennung von
erhöhtem Mietpreis wegen Bedarf von mehr Platz bei Pflege von behinderten
Menschen und Anerkennung von Mehrbedarf bei Behinderung.
Der Petent äußert sich sehr unzufrieden über die Freifahrtmöglichkeiten für Menschen
mit Schwerbehinderung. Aufgrund der Fahrpläne dauerten die Fahrten mit dem
Regionalexpress sehr lange und führten zu unakzeptablen Reisezeiten. Man finde
auch schwer einen geeigneten Fahrplatz für den Rollstuhl. Vor diesem Hintergrund
fordert der Petent „einen kostenfreien angemessenen Beförderungszeitraum“ für
behinderte Menschen. Wenn dies nicht möglich sei, dann sollte auch die Benutzung
von IC-Züge und ICE-Züge für behinderte Menschen mit entsprechendem Ausweis
kostenfrei sein. Ein behindertengerechter Transport sei sonst nicht mehr gewährleistet.
Des Weiteren solle ein entsprechender Wohnraum für Menschen mit Behinderung
finanziert werden, da mehr Platz zur Pflege benötigt werde. Auch Mehrbedarfe bei
Behinderung müssten anerkannt werden.
Zu dieser als öffentliche Petition zugelassenen Eingabe sind 47 Diskussionsbeiträge
und 169 Mitzeichnungen eingegangen. Die Diskussion verlief kontrovers.
Der Petitionsausschuss hat der Bundesregierung Gelegenheit gegeben, ihre Haltung
zu der Eingabe darzulegen. Das Ergebnis der parlamentarischen Prüfung lässt sich
u. a. unter Einbeziehung der seitens der Bundesregierung angeführten Aspekte wie
folgt zusammenfassen:
Zur Frage der kostenfreien Beförderung von Menschen mit Behinderung auch in IC-
und ICE-Zügen:
Derzeit gilt die Regelung, dass schwerbehinderte Menschen, die in ihrer
Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt sind, einen Anspruch
auf unentgeltliche Beförderung im Personennahverkehr haben (§§ 145 ff. Neuntes
Buch Sozialgesetzbuch – SGB IX). Das betrifft gehbehinderte, außergewöhnlich
gehbehinderte, hilflose, gehörlose und blinde Menschen (Merkzeichen G, aG, H, Gl
und Bl im Schwerbehindertenausweis). Die unentgeltliche Beförderung gilt für den
Nahverkehr mit Omnibussen, Straßenbahnen, S-Bahnen und Nahverkehrszügen. Seit
dem 1. September 2011 können schwerbehinderte Menschen außerdem bundesweit
durchgängig mit allen Nahverkehrszügen, Regionalbahnen, dem Regionalexpress,
dem Interregio-Express und den S-Bahnen in der 2. Klasse kostenlos fahren. Wer von
der unentgeltlichen Beförderung Gebrauch machen möchte, ist zu einer
Eigenbeteiligung verpflichtet in Höhe von 60 Euro (früher 120 DM) im Jahr, seit 2013
72 Euro. Dies war die erste Erhöhung seit 1984.
Der Petent kritisiert, dass längere Reisen mit Zügen des Nahverkehrs aufgrund der
ausgedünnten Fahrpläne für Regionalzüge oft beschwerlich seien. Hier stellt sich
zunächst die Frage, ob das tatsächlich republikweit so zutrifft. Hierzu gab es in der
Diskussion auf der Internetseite des Deutschen Bundestages sehr kontroverse
Aussagen. Zum anderen ist darauf hinzuweisen, dass die Regionalzüge jedoch
kostenfrei genutzt werden können. Der Petitionsausschuss geht davon aus, dass
Menschen mit Behinderung – wie alle anderen Fahrgäste auch – für längere Reisen
einen Fernverkehrszug wählen und die entsprechende Fahrkarte kaufen. Der
Petitionsausschuss gibt dabei zu bedenken, dass der Hintergrund für die kostenfreie
Nutzung der öffentlichen Verkehrsmittel der Gedanke des Nachteilsausgleichs war: Da
schwerbehinderte Menschen die alltagsüblichen Strecken an ihrem Wohnort nicht so
gut (oder gar nicht) zu Fuß oder mit dem Fahrrad bewältigen können wie
nichtbehinderte Menschen, wurde – zum Ausgleich dieses Nachteils – die kostenfreie
Benutzung der öffentlichen Verkehrsmittel wie Busse, Straßenbahnen usw.
eingeräumt. Zunächst galt das nur für den Orts- und Nachbarortsverkehr, seit 1979
wurde die Eisenbahn im Umkreis von 50 km einbezogen, in Verkehrsverbünden auch
darüber hinaus. Diese 50-km-Beschränkung wurde zum 1. September 2011
aufgehoben, so dass nun bundesweit die Nahverkehrszüge kostenlos benutzt werden
können. Schon diese Regelung hat den ursprünglichen Gedanken des
Nachteilsausgleichs hinter sich gelassen. Eine weitere Ausdehnung des kostenlosen
Fahrens, jetzt auf IC- und ICE-Züge, hält der Petitionsausschuss nicht für angezeigt.
Soweit es dem Petenten um eine Anerkennung von höherer Miete wegen größeren
Platzbedarfs für Menschen mit Behinderung im Rahmen des Zweiten Buches
Sozialgesetzbuch (SGB II) geht, ist Folgendes festzuhalten:
Bedarfe für Unterkunft und Heizung werden auf der Grundlage von § 22 Abs. 1 SGB II
in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt, soweit diese angemessen sind.
Die Gesamtbeurteilung der Angemessenheit der Kosten der Unterkunft richtet sich
demnach nach den individuellen Verhältnissen des Einzelfalles, also nach den
Lebensumständen, insbesondere nach der Zahl der Familienangehörigen, nach deren
Alter, Geschlecht und ihrem Gesundheitszustand. Besondere persönliche oder auch
berufliche Bedürfnisse der Betroffenen und seiner Angehörigen sowie der nach der
Lebenserfahrung in absehbarer Zeit zu erwartende zusätzliche Raumbedarf sind zu
berücksichtigen. Das bedeutet, dass auch ein erhöhter Raumbedarf wegen einer
Behinderung zu berücksichtigen ist. Dem Wunsch des Petenten ist also schon
entsprochen und eine Änderung der gesetzlichen Regelung daher nicht notwendig.
Hinsichtlich der Mehrbedarfe, die der Petent ebenfalls anspricht, so sind dafür im
SGB II folgende Regelungen getroffen:
Nach § 21 Abs. 4 SGB II erhalten erwerbsfähige Menschen mit Behinderung, die
berechtigt sind zu Leistungen nach dem SGB II, zusätzlich zum Arbeitslosengeld II
(Regelbedarf plus anteilige Miet- und Heizungskosten) einen Mehrbedarf in Höhe von
35 Prozent des jeweiligen Regelbedarfs unter folgender Voraussetzung: Sie beziehen
Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben nach § 33 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch
(SGB IX) sowie sonstige Hilfen zur Erlangung eines geeigneten Platzes im
Arbeitsleben oder Eingliederungshilfe nach § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 3 des Zwölften
Buches Sozialgesetzbuch (SGB XII). Dieser Mehrbedarf wird auch erbracht für
Menschen mit Behinderung, die das 15. Lebensjahr vollendet haben, wenn Leistungen
der Eingliederungshilfe nach § 54 Abs. 1 Nr. 1 und 2 SGB XII erbracht werden.
Menschen mit Behinderung, die das Merkzeichen ‚G‘ in ihrem Ausweis haben und
nicht erwerbsfähig, sondern voll erwerbsgemindert nach dem Sechsten Buch
Sozialgesetzbuch (SGB VI) sind, erhalten einen Mehrbedarf von 17 Prozent des ihnen
zustehenden Regelbedarfes. Dies gilt jedoch nicht, wenn bereits ein Anspruch auf
einen Mehrbedarf nach § 23 Nr. 2 oder 3 SGB II besteht.
Hinzuweisen ist auch darauf, dass eine Behinderung alleine noch keine Berechtigung
für einen Mehrbedarf rechtfertigt, sondern die dargelegten Konstellationen
Voraussetzung dafür sind.
Die parlamentarische Prüfung ergibt keine Notwendigkeit, die bestehenden
Regelungen im Sinne der Petition zu verändern.
Der Petitionsausschuss empfiehlt deshalb, das Petitionsverfahren abzuschließen, weil
dem Anliegen nicht entsprochen werden konnte.
Der von der Fraktion DIE LINKE. gestellte Antrag, die Petition der Bundesregierung –
dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales – als Material zu überweisen, soweit
es um die unentgeltliche Beförderung von schwerbehinderten Menschen in allen
öffentlichen Verkehrsmitteln geht, und das Petitionsverfahren im Übrigen
abzuschließen, ist mehrheitlich abgelehnt worden.
Der von der Fraktion von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gestellte Antrag, die Petition der
Bundesregierung – dem Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und
Reaktorsicherheit – zu überweisen, soweit es um die Berücksichtigung von
behinderungsbedingtem Wohnbedarf bei der Berechnung des Mietzuschusses geht,
und das Petitionsverfahren im Übrigen abzuschließen, ist mehrheitlich abgelehnt
worden.
Begründung (PDF)