28. 05. 2015. 18:11
Liebe Streik-Hinterfrager und Verhandlungs-Wertschätzer,
erstmal ganz großen Dank! Ich bin ganz baff, was aus diesem "Brief", den ich am Sonntag per Email an Herrn Birner geschickt habe, mittlerweile geworden ist. Über 1000 Unterschriften, und steigend. Durch euch ist die Botschaft viel stärker geworden, und ich freue mich, dass wir uns mit dieser Petition gemeinsam dafür einsetzen, die Streit-/Streik-kultur und ihre Wirkung auf unsere Kinder zu hinterfragen sowie andere Lösungsansätze zu suchen.
Auch wenn ich zugeben muss, dass ich gestern am Münchner Marienplatz einen ziemlichen Dämpfer erlebt habe. Vor Überraschung eigentlich ein wenig sprachlos war.
Zum Hintergrund: Gestern fanden gleich zwei Streik-bezogene Veranstaltungen vor dem Rathaus statt: Um 12.00 ein gemeinsamer Appell der Streikenden und der Eltern (von ver.di organisiert) - sowie davon separat um 16.30 eine streikkritische Kundgebung der Eltern (von Eltern organisiert - übrigens mein Kompliment an Initiatorin Beatrice Perret & Co. - toll, was ihr in der Kürze der Zeit auf die Beine gestellt habt).
Nachdem ich also über mehrere Stunden Streikende, Gewerkschaftler und Eltern gehört und gesprochen hatte, wurde mir erst so richtig etwas bewusst: Hinter dem Streik, den die Gewerkschaft als ihre größte Waffe in diesen Verhandlungen ansieht - ist überhaupt keine Strategie erkennbar.
Oder, um es ein wenig zugespitzt zu formulieren: Vielleicht ist der Streik gar nicht so sehr das Problem – vielleicht ist das Problem, mit welcher Naivität und fragwürdigen Unprofessionalität dieser Streik geführt wird.
Weder in Bezug auf Verhandlungsführung und Medien(online/offline)/PR-Arbeit noch auf das Managment der Elternkommunikation sind von ver.di strategische Ansätze genannt worden. Stattdessen scheint ver.di sich hartnäckig auf Kampfparolen des letzten Jahrhunderts und eine Eltern-Solidarität zu verlassen, die mehr einem moralischen Wunschdenken als der momentanen Realtität entspricht. Hier einige Beispiele dafür - und wie es auch anders gehen könnte:
* Die ständig wiederholte Streikparole „Die Arbeitgeberverbände wollen ja nicht mit uns reden.“
Fakt ist: Die Welt ist oft ungerecht – und natürlich ist es leicht, sich schmollend zurückzuziehen und in einer Opferhaltung auf Mitleid mit der breiten Bevölkerung zu spekulieren.
Dass ein Partner sich Gesprächen verweigert ist ein klassisches Problem der Verhandlungsführung. Wenn wir die Sache nüchtern betrachten, haben die Arbeitgeberverbände im Moment keinen großen Anreiz zum Weiterverhandlen - und vor allem keinen Zeitdruck. Hier wäre es also wichtig, mit Hilfe von erfahrenen Profis über kreative und professionelle Verhandlungsstrategien nachzudenken, die solche Gespräche für die Arbeitgeber unausweichlich machen.
* Der Streik kommt öffentlich immer noch kaum vor.
Ich treffe immer noch auf Menschen in meinem Bekanntenkreis, die gar nicht mitbekommen haben, dass die KiTas bestreikt werden. Der Streik beschäftigt überwiegend Lokalzeitungen, Lokalteile, kleinere Facebook-Gruppen und Regionalsender. Heutzutage reicht es einfach nicht mehr aus, Presseerklärungen zu verschicken und Medienvertreter zu informieren. Noch verheerender fällt diese Analyse im Online-Bereich aus: Es reicht auch nicht aus, einfach mal was bei Facebook zu posten. Es wird definitiv Zeit für eine professionelle, einheitliche und effektive cross-mediale Presse/PR-Strategie.
(Ach und noch was: Wo sind eigentlich die ganzen streikenden Erzieher gerade? Bei den zwei Veranstaltungen gestern waren sie in einer merkwürdig geringen Anzahl präsent.)
* Notbetreuungs-Gruppen sind keine Streik-Strategie.
Was soll diese Diskussion um Notbetreuung und Härtefälle? Warum haben wohl alle von uns einen Betreuungsplatz? Genau - weil, wir ihn brauchen. Abgesehen davon, dass im Schulbereich (Horte/Tagesheime) gar keine solchen Gruppen existieren.
* Fehlender Aufbau und Pflege der Elternbeziehung.
Normalerweise kann sich kein Arbeitnehmer das Privileg erlauben, seine Kunden als Druckmittel in einer Gehaltsverhandlung gegenüber dem Arbeitgeber zu benutzen. ver.di hat/te) dieses Privileg, weil alle Eltern natürlich nur das Beste für ihre Kinder wollen und zu Recht großes Verständnis für die Forderungen der Erzieher haben. Sich darauf zu verlassen war aber sehr riskant und geht langsam nach hinten los. Auch hier braucht es eine Strategie und Expertenwissen: Wie baut man eine Elterncommunity auf, die man effektiv und wertschätzend mit einbezieht? Wer sind geeignete Multiplikatoren (und das sind nicht immer unbedingt formale Gremien wie Elternbeiräte!). Welche passenden Plattformen, Blogs, Foren gibt es? Was können Eltern überhaupt in diesen und zukünftigen Verhandlungen leisten – und was wollen sie tun? Das alles am besten nicht erst während des Streiks - sondern möglichst gut und lange vorbereitet (vor dem nächsten).
* Fehlende Exit-Strategie.
Ver.di hat sich in eine schwierige Situation hineinmanövriert. Die Kritik am Streik