Sozialgerichtsbarkeit - Verkürzung der im § 88 Sozialgerichtsgesetz vorgesehenen Fristen auf zwei Monate

Petent/in nicht öffentlich
Petition richtet sich an
Petitionsausschuss des Deutschen Bundestags
58 Unterstützende 58 in Deutschland

Der Petition wurde nicht entsprochen

58 Unterstützende 58 in Deutschland

Der Petition wurde nicht entsprochen

  1. Gestartet 2017
  2. Sammlung beendet
  3. Eingereicht
  4. Dialog
  5. Beendet

Dies ist eine Online-Petition des Deutschen Bundestags.

14.08.2018, 04:30

Pet 3-18-11-8206-040455 Sozialgerichtsbarkeit

Der Deutsche Bundestag hat die Petition am 07.06.2018 abschließend beraten und
beschlossen:

Das Petitionsverfahren abzuschließen, weil dem Anliegen nicht entsprochen werden
konnte.

Begründung

Der Petent möchte erreichen, dass die Fristen, nach deren Ablauf eine
Untätigkeitsklage zulässig ist, auf zwei Monate ab dem Eingang eines Antrags bei
einer Behörde wegen der existenziellen Natur der beantragten Leistungen verkürzt
werden.

Der Petent führt aus, dass es die oft knappen Sozialleistungsbeträge nicht
rechtfertigten, dass eine Behörde die Fristen von sechs Monaten bis zum Erlass eines
Verwaltungsaktes und von drei Monaten bis zum Erlass eines
Widerspruchsbescheides beliebig ausreizen könne, ohne dass es dem
Sozialleistungsberechtigten möglich sei, Klage wegen Untätigkeit zu erheben.
Zwischenzeitlich würde dies sogar prozesstaktisch genutzt, um den
Sozialleistungsberechtigten die Leistungen zu entziehen, soweit ein Sozialgericht
Anträge auf Aufhebung oder Abänderung von Verwaltungsakten zugunsten des
Leistungsempfängers bearbeite. Es erfolgten dann keine schriftlichen Bescheide der
Behörde mehr oder zumindest nicht bis zum Ablauf der Klagefristen nach § 88
Sozialgerichtsgesetz. Wegen der existenziellen Natur dieser Anträge sollten die dort
enthaltenen Fristen auf die Dauer von jeweils 2 Monaten verkürzt werden.

Es handelt sich um eine Petition, die auf den Internetseiten des Deutschen
Bundestages veröffentlicht wurde und zur Diskussion bereitstand. Der Petition
schlossen sich 58 Mitzeichner an, und es gingen 19 Diskussionsbeiträge ein.

Der Petitionsausschuss hat der Bundesregierung Gelegenheit gegeben, ihre Haltung
zu der Eingabe darzulegen. Das Ergebnis der parlamentarischen Prüfung lässt sich
unter Einbeziehung der seitens der Bundesregierung angeführten Aspekte wie folgt
zusammenfassen:
Der Petitionsausschuss befürwortet nicht die Verkürzung der in § 88
Sozialgerichtsgesetz (SGG) geregelten Fristen. Die Regelung ist im Zusammenhang
mit dem gesamten System des Sozial- und des Sozialverfahrensrechts zu betrachten.
Aus den Fristen des § 88 SGG kann nicht bereits von vornherein geschlossen werden,
dass sich die Behörde sechs Monate Zeit für die Bearbeitung des Antrages nehmen
kann. Ist nämlich eine frühere Bescheiderteilung möglich, so ist diese auch
vorzunehmen. So ergibt sich dies insbesondere aus den allgemeinen Vorschriften des
Ersten Buches Sozialgesetzbuch (SGB I) und aus den verfahrensrechtlichen
Vorschriften des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X), dass die Behörde
gehalten ist, zügig über die Anträge zu entscheiden.

Bereits jetzt verpflichtet § 17 SGB I die Leistungsträger darauf hinzuwirken, dass jeder
Berechtigte die ihm zustehenden Sozialleistungen in zeitgemäßer Weise, umfassend
und zügig erhält. Diese Verpflichtung zur schnellen Leistungserbringung beruht auf
dem Grundgedanken, dass Sozialleistungen der Deckung eines aktuellen, im
Allgemeinen existenziellen Bedarfs dienen und dementsprechend ihren Zweck nur
dann erfüllen, wenn sie dem Leistungsberechtigten rechtzeitig zufließen.

Außerdem hat der Leistungsträger bei Ansprüchen auf Geldleistungen die Möglichkeit
– bzw. auf Antrag die Pflicht – zur Zahlung von Vorschüssen, falls dem Grunde nach
ein Anspruch besteht und zur Feststellung der Höhe der Leistungen voraussichtlich
längere Zeit erforderlich ist (§ 42 SGB I).

Darüber hinaus ist ein Verwaltungsverfahren (§ 8 SGB X) nach § 9 Satz 2 SGB X im
Übrigen einfach, zweckmäßig und zügig durchzuführen. Dieses postulierte
„Beschleunigungsgebot“ gilt zum Schutze der Rechtsschutzsuchenden für alle
sozialrechtlichen Verfahren. Es ergibt sich aus dem allgemeinen Rechtsstaatsprinzip
des Artikel 20 Absatz 3 Grundgesetz (GG) und der Rechtsschutzgarantie des Artikels
19 Absatz 4 GG sowie dem Recht auf ein faires Verfahren aus Artikel 6 Absatz 1 der
Europäischen Menschenrechts-Konvention (EMRK).

Das „Beschleunigungsgebot“ fordert die Behörde auf, das Verwaltungsverfahren zügig
durchzuführen. Zügig bedeutet, das Verfahren ist ohne unnötige und vermeidbare
Zeitverzögerung durchzuführen. Bei einem Antrag des Beteiligten auf Durchführung
eines Verwaltungsverfahrens besteht also demnach der gesetzliche Auftrag, das
Verwaltungsverfahren so schnell wie möglich zu beginnen und die Entscheidungsreife
des Antrags herbeizuführen. Eine längere Dauer eines Verwaltungsverfahrens steht
der zügigen Durchführung lediglich dann nicht entgegen, wenn sie darauf beruht, dass
sich die erforderlichen Ermittlungen von Amts wegen (§ 20 SGB X) notwendigerweise
über einen entsprechenden Zeitraum erstrecken. Die Behörde muss letztlich einen
sachgerechten Ausgleich finden zwischen dem Gebot der zügigen
Verfahrensdurchführung im Interesse des auf die Entscheidung wartenden
Betroffenen und der Durchführung aller Maßnahmen, die notwendig sind, um den
Anspruch zu prüfen. Im Übrigen enthalten die Besonderen Teile des
Sozialgesetzbuchs ebenfalls Regelungen, die dazu beitragen, dass existenzsichernde
Leistungen zügig gewährt werden können. In § 41a des Zweiten Buches
Sozialgesetzbuch ist zum Beispiel geregelt, dass beim Vorliegen bestimmter
Voraussetzungen eine vorläufige Entscheidung zu treffen ist, wenn für die endgültige
Entscheidung voraussichtlich längere Zeit erforderlich ist.

Kommt es trotz dieser Grundsätze zu keiner Entscheidung des Leistungsträgers, ist
eine Untätigkeitsklage nach § 88 SGG zulässig. Die Regelung in § 88 SGG über die
Untätigkeitsklage unterscheidet dabei grundsätzlich zwei Konstellationen mit jeweils
unterschiedlichen Wartefristen. § 88 Absatz 1 SGG regelt den Fall der
Untätigkeitsklage des § 54 Absatz 1 SGG, wenn ein Versicherungsträger oder eine
Verwaltungsbehörde einen Antrag auf Vornahme eines Verwaltungsakts ohne
zureichenden Grund sachlich nicht beschieden hat. Hier ist die Klage nicht vor Ablauf
von sechs Monaten seit Antragstellung zulässig. Demgegenüber ist gemäß § 88
Absatz 2 SGG die Klage bei Nichtentscheidung über einen Widerspruch nicht vor
Ablauf von drei Monaten seit Einlegung des Widerspruchs zulässig.

Ihrem prozessualen Zweck nach ist die Sperrfrist auf zwei verschiedene Wirkungen
gerichtet: Angesichts der häufig sehr komplexen Lebenssachverhalte und der im
Sozialverwaltungsverfahren herrschenden Amtsermittlungspflicht soll sie einerseits
gewährleisten, dass der Behörde eine angemessene Zeit zu einer ausreichenden
Sachprüfung zur Verfügung steht. Gleichzeitig soll sie einer verfrühten und deshalb
unter Rechtsschutzgesichtspunkten (noch) nicht gerechtfertigten Klageerhebung
entgegenwirken und damit zugleich die Belastung der Gerichte möglichst gering
halten. Andererseits soll die Eröffnung der Klagemöglichkeit nach Ablauf der Sperrfrist
aber auch dem Bürger das Risiko nehmen, mit Folgen für die Zulässigkeit der Klage
jeweils selbst entscheiden zu müssen, ob die Voraussetzungen des § 88 SGG
gegeben sind, ob also nach den Umständen des konkreten Falles von der Behörde
ohne zureichenden Grund in angemessener Frist sachlich nicht entschieden worden
ist. Die Differenzierung in § 88 Abs. 1 und 2 SGG beruht darauf, dass im Rahmen des
Widerspruchsverfahrens im Gegensatz zum Ausgangsverfahren in der Regel keine
umfangreichen Sachverhaltsermittlungen mehr erforderlich sind. Eine Verkürzung der
Sechs-Monats-Frist ist zum einen im Hinblick auf diesen Zweck, zum anderen aber
auch deshalb nicht sachgerecht, da Klageverfahren ohne vorgeschaltete
Verwaltungsverfahren die Ausnahme bleiben sollen. Zudem wird mit der Regelung
einem weiteren Anstieg der Klagen in der ohnehin stark belasteten
Sozialgerichtsbarkeit entgegengewirkt. Im Einzelfall kann zudem eine gerichtliche
Eilentscheidung beantragt werden (§ 86b SGG). Im Rahmen eines summarischen
Prüfverfahrens überprüft dabei das Gericht innerhalb kürzester Zeit die
Anspruchsvoraussetzungen des einstweiligen Rechtsschutzes. Ist ein längeres
Abwarten auf die Entscheidung bzw. den Bescheid des Leistungsträgers nicht
zumutbar, besteht dadurch die Möglichkeit, sich unabhängig von der Frist des § 88
SGG im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes an das Sozialgericht zu wenden.

Nach den vorangegangen Ausführungen sieht der Petitionsausschuss keinen
gesetzgeberischen Handlungsbedarf. Er empfiehlt daher, das Petitionsverfahren
abzuschließen, weil dem Anliegen nicht entsprochen werden konnte.

Begründung (PDF)


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