Universitäten müssen Orte des kritischen Denkens, der freien Meinung und des Strebens nach einer gerechteren Zukunft sein. In Zeiten internationaler Krisen darf eine Universität nicht schweigen, v. a. wenn ihre eigenen Kooperationen und Entscheidungen zur Aufrechterhaltung bzw. Verschärfung von Gewaltverhältnissen beitragen. Genau dies beobachten wir in der Politik unserer Hochschule im Hinblick auf Palästina und Israel. Die vergangenen zwei Jahre haben die Brutalität der israelischen Besatzung in erschütternder Weise sichtbar gemacht. Der Genozid in Gaza betrifft alle Bereiche des palästinensischen Lebens.
Scholasticide in Gaza
Als Studierende, Mitarbeitende und Lehrende sind wir schockiert über die gezielte Vernichtung des palästinensischen Bildungs- und Wissenssystems: Schulen, Universitäten, Bibliotheken, Archive wurden zerstört und zehntausende Lernende und Lehrende ermordet . Diese umfassende Auslöschung wird zunehmend als Scholasticide bezeichnet [1]. Sie zielt darauf, Geschichte, Identität und Zukunft der palästinensischen Gesellschaft auszulöschen und jede Form von Wissensproduktion zu verhindern.
Siedlerkolonialismus in Palästina
Die aktuelle Gewalt ist kein neues Phänomen. Den Analysen palästinensischer und internationaler Wissenschaftler:innen folgend, betrachten wir Israel als siedlerkoloniales Projekt und Zionismus als siedlerkoloniale Ideologie/Bewegung.[2] Bis heute steht die Landnahme im Mittelpunkt des zionistischen Projekts, diese wird durch eine Vielzahl eliminatorischer Strategien verfolgt.[3] Ohne die Vertreibung von 80 Prozent der palästinensischen Bevölkerung in den Jahren 1947/48 hätte es allein schon keine jüdische Bevölkerungsmehrheit in dem neu gegründeten “Jüdischen Staat” gegeben. Ohne die Anerkennung des Verhältnisses zwischen Israel und Palästina als Siedlerkolonialismus können wir kein Verständnis für vergangene, gegenwärtige und zukünftige Dynamiken entwickeln. Die Kritik allein an der aktuellen israelischen Regierung greift daher zu kurz.
Komplizenschaft unserer Universität
Vor diesem Hintergrund richten wir den Blick auf die Verstrickungen unserer Universität mit dem Genozid in Gaza und dem israelischen Siedlerkolonialismus. Dazu gehören Forschungskooperationen mit israelischen Einrichtungen, Austauschprogramme, ebenso wie Verträge mit Konzernen, die die israelische Besatzung materiell unterstützen. Auch der repressive Umgang mit Studierenden, die sich für ein Ende der Gewalt einsetzen, ist Teil dieser Komplizenschaft.
Kooperation mit israelischen Universitäten
Israelische Hochschulen sind integraler Bestandteil des Systems der Unterdrückung. Sie liefern ideologische und technologische Grundlagen, sind eng mit der Militär und Rüstungsindustrie verflochten und sind mit ihren Standorten selbst Teil der Besatzungsinfrastruktur. Die Tel Aviv Universität – Partneruniversität unserer Hochschule – kooperiert mit Elbit Systems, gründete mit der Israeli Air Force das Elrom Center für militärische Forschung, entwickelte im Institute for National Security Studies die Dahiya-Doktrin und bietet Eliteprogramme für Soldat:innen an. Sie steht nach eigenen Worten „an vorderster Front zur Wahrung der militärischen Überlegenheit Israels“ [4].
Verträge mit Cisco Systems und Dell Technologies
Unsere Universität nutzt Cisco AnyConnect als verpflichtenden VPN-Client und bezieht nahezu alle Rechner über Dell. Beide Unternehmen unterstützen das israelische Militär massiv: Cisco liefert Kommunikations- und Überwachungstechnologie und betreibt Technik-Hubs auf besetztem Land; Dell stellt der israelischen Armee Server, Speicher und IT-Dienste zur Verfügung und schloss 2023 einen 150-Millionen-Dollar-Vertrag mit den Streitkräften. Die Dell-Tochter EMC Israel ist zentral für die militärische Cyberinfrastruktur.
Repression gegen Studierende
Gleichzeitig zeigt unsere Universität seit Jahren eine repressive Haltung gegenüber Studierenden, die sich solidarisch mit Palästina engagieren. Die HRK-Entschließung „Kein Platz für Antisemitismus“ (2019) diffamiert die aus der palästinensischen Zivilgesellschaft hervorgegangene BDS-Bewegung und übernimmt die umstrittene IHRA-Definition, die politisch missbraucht wird [5][6]. 2024 folgten Strafanzeigen gegen Studierende, nachdem ein Dokumentarfilm zu Apartheid gezeigt wurde.
Wir bekennen uns zu BDS
Wir unterstützen die Grundsätze von BDS und PACBI [7] und verweisen auf Universitäten wie Stavanger oder Genf, die ihre Kooperationen mit israelischen Einrichtungen bereits beendet haben.
Schweigen angesichts von Ungerechtigkeit ist keine Neutralität – es ist Komplizenschaft. Eine Universität, die sich als modern und weltoffen versteht, muss ihre Kooperationen an ethischen und menschenrechtlichen Standards messen.
Den vollständigen Brief finden Sie auf unserer Website.
Fußnoten:
[2] U.a. Edward Said, Rashid Khalidi, Noura Erakat, Fayez Sayegh, Tariq Dana, Muhannad Ayyash, Ibrahim Abu-Lughod, Patrick Wolfe, Maxime Rodinson, Ilan Pappe, Jürgen Mackert, Avi Shlaim
Frieden in Palästina geht nur, wenn Israeli und Palästinenser dort leben in Freiheit und Frieden