Bundesarchiv - Veröffentlichung der Namen der Opfer der Aktion T4

Petent/in nicht öffentlich
Petition richtet sich an
Petitionsausschuss des Deutschen Bundestags
57 Unterstützende 57 in Deutschland

Die Petition wurde abgeschlossen

57 Unterstützende 57 in Deutschland

Die Petition wurde abgeschlossen

  1. Gestartet 2016
  2. Sammlung beendet
  3. Eingereicht
  4. Dialog
  5. Beendet

Dies ist eine Online-Petition des Deutschen Bundestags.

23.09.2017, 04:23

Pet 3-18-04-22120-031529

Bundesarchiv


Der Deutsche Bundestag hat die Petition am 05.09.2017 abschließend beraten und
beschlossen:

Die Petition der Bundesregierung – der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur
und Medien – zur Erwägung zu überweisen.

Begründung

Mit der Petition soll erreicht werden, dass das Bundesarchiv die Namen der Opfer, die
durch die „Aktion T4“ ums Leben gekommen sind, veröffentlicht.
Die Petentin führt insbesondere aus, dass das Bundesarchiv die Namen der Opfer, die
durch die sog. „Aktion T4“ ums Leben gekommen sind, bisher nicht veröffentlicht habe.
Bei der Opfergruppe handele es sich insbesondere um Menschen mit geistigen und
körperlichen Behinderungen, die durch die nationalsozialistische Gewaltherrschaft
systematisch ermordet worden seien. Nach eigener Recherche seien auch Personen
betroffen gewesen, die auf Grund Ihrer sexuellen Orientierung bzw. Lebensweise
(Stichwort: Lesben, Schwule, Bisexuelle und Transgender, Transsexuelle etc.) verfolgt
worden seien. Es könne nicht sein, dass die noch vorhandenen ca. 30.000 Akten der
Opfer im Bundesarchiv nur unter erschwerten Bedingungen eingesehen werden
könnten. Im Gedenken an alle unschuldigen Opfer müsse die Wahrheit endlich
veröffentlicht und deren Namen bekannt gemacht werden. Anderenfalls würde man im
Ergebnis die Interessen der Täter unterstützen. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten
des Vorbringens wird auf die von der Petentin eingereichten Ausführungen Bezug
genommen.
Die Eingabe war als öffentliche Petition auf der Internetseite des Deutschen
Bundestages eingestellt. Es gingen 57 Mitzeichnungen sowie 11 Diskussionsbeiträge
ein.
Der Ausschussdienst hat von der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und
Medien (BKM) drei Stellungnahmen zu der Eingabe angefordert. Da bei der Petition
datenschutzrechtliche Fragestellungen aufgeworfen werden, wurde die
Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit (BfDI) ebenfalls

gebeten, eine Stellungnahme abzugeben. Die BfDI führt insbesondere aus, dass eine
Veröffentlichung der sensiblen Daten der Opfer der „Aktion T4“ im Internet nur unter
ganz spezifischen Rahmenbedingungen möglich sei.
Das Ergebnis der parlamentarischen Prüfung lässt sich unter Einbeziehung der seitens
der Bundesregierung und der BfDI angeführten Aspekte wie folgt zusammenfassen:
In ihren Stellungnahmen teilt die BKM mit, dass das Bundesarchiv, das der
Fachaufsicht der BKM untersteht, grundsätzlich den Vorschlag, mehr als 70 Jahre
nach dem Ende der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft alle Namen der Opfer zu
nennen und den Zugang zu den Akten zu erleichtern, unterstütze. Allerdings seien
einige grundsätzliche datenschutzrechtliche Fragen in Bezug auf die Angehörigen der
Opfer noch nicht abschließend geklärt. Dabei gehe es auch um Form und Umfang des
Zugangs. Am 29. Juni 2016 habe die von der BKM initiierte und finanzierte nicht-
öffentliche Fachkonferenz „Den Opfern einen Namen geben – Gedenken und
Datenschutz im Zusammenhang mit der öffentlichen Nennung der Namen von NS-
Opfern in Ausstellungen, Gedenkbüchern und Datenbanken" in der Stiftung
„Topographie des Terrors" in Berlin stattgefunden. Insbesondere zu der Frage, ob eine
Änderung der derzeit restriktiven Auslegung des Bundesarchivgesetzes geboten sei,
bestand unter den Tagungsteilnehmern weitgehender Konsens darüber, dass die
öffentliche Namensnennung von Opfern der NS-„Euthanasie"-Morde rechtlich möglich
sei und zur angemessenen Würdigung der Opfer beitragen könne.
Angesichts dieses Tagungsergebnisses plane das Bundesarchiv, den dort zu dem
Thema vorhandenen Archivbestand (es handle sich um rd. 30.000 Akten – der „Aktion
T4" sind jedoch weit mehr Menschen zum Opfer gefallen) künftig unter erleichterten
Bedingungen zugänglich zu machen. Dies bedeute, dass die Nutzer zwar weiterhin
auf die Sensibilität der Unterlagen hingewiesen, jedoch nicht mehr - wie bisher -
schriftlich dazu verpflichtet würden, die aus diesem Bestand eingesehenen Namen
und ggf. auch Lebensdaten der Opfer nicht ohne Einverständnis der Angehörigen zu
veröffentlichen. Künftig soll dies nur noch für Angaben aus den Krankenakten der
Opfer gelten. Der Zugang zu diesen Akten mit der Maßgabe, dass ihre Auswertung
nicht wie bisher anonym, sondern personenbezogen und ggf. unter Übernahme von
Auszügen aus den medizinischen Diagnosen der NS-Ärzte erfolgen soll, wäre im
Einzelfall geeignet, den postmortalen Würdeschutz der Verstorbenen oder das
Persönlichkeitsrecht der Angehörigen zu beeinträchtigen. Dementsprechend werde
hier weiterhin in jedem Einzelfall geklärt werden müssen, welche Daten grundsätzlich
zugänglich gemacht werden und in welcher Form ihre Veröffentlichung erfolgen könne.

Zusätzlich erwäge das Bundesarchiv, aus den dort vorhandenen
Erschließungsangaben des betreffenden Archivbestands die Namen und
Geburtsdaten der NS-„Euthanasie"-Opfer künftig online bereit zu stellen.
In diesem Zusammenhang weist der Petitionsausschuss auf Grundlage der ergänzend
eingeholten Stellungnahme der BfDI auf Folgendes hin:
Für den von der Petition betroffenen Personenkreis, d. h. die Opfer der „Aktion T4“
(„unwertes Leben"), sind aufgrund des Umstandes, dass alle Opfer bis Kriegsende
(1945) verstorben sind und die begehrten Informationen aus Akten des
Bundesarchives entnommen werden sollen, grundsätzlich nicht die
Datenschutzgesetze, sondern vielmehr die Archivregelungen des Bundes maßgeblich.
Wie § 1 des Bundesarchivgesetzes (BArchG) zu entnehmen ist, hat das Bundesarchiv
Archivgut auf Dauer zu sichern, nutzbar zu machen und wissenschaftlich zu verwerten.
Grundsätzlich steht gemäß § 5 Abs. 1 BArchG jedermann das Recht zu, Archivgut aus
einer mehr als 30 Jahre zurückliegenden Zeit zu nutzen, soweit durch Rechtsvorschrift
nichts anderes bestimmt ist. Archivgut, das sich auf natürliche Personen bezieht, darf
erst 30 Jahre nach dem Tode der Betroffenen durch Dritte genutzt werden (§ 5 Abs. 2
S. 1 BArchG). Grundsätzlich dürften daher seit 1975, d. h. mit Ablauf der 30-jährigen
Schutzfrist, die betroffenen personenbezogenen Unterlagen genutzt werden. Der
Begriff der Nutzung im Sinne des § 5 Abs. 1 BArchG ist entsprechend der Zielsetzung
des BArchG auszulegen und umfasst daher nicht nur das Recht auf Einsichtnahme,
sondern ist im Sinne der Verwertung durch Wissenschaftler, Publizisten und Bürger im
Sinne eines „Jedermann-Rechts" weit zu fassen.
Unabhängig von den archivrechtlichen Schutzfristen des BArchG können bei einer
etwaigen Nutzung des Archivgutes jedoch mitunter schutzwürdige Belange der
Betroffenen eine Nutzung ausschließen. Vorliegend kommt insbesondere das
postmortale Persönlichkeitsrecht der Opfer in Betracht. Zwar endet der Schutz des
allgemeinen Persönlichkeitsrechts aus Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1
Grundgesetz (GG) nach Ansicht der Rechtsprechung mit dem Tod einer Person,
allerdings wird das sog. postmortale Persönlichkeitsrecht der Verstorbenen über Art.
1 Abs. 1 GG jedenfalls in dem Maße geschützt, wie bereits das allgemeine
Persönlichkeitsrecht der betroffenen Person zu Lebzeiten Schutz vermittelt. Die
Schutzdauer des sog. postmortalen Persönlichkeitsrechts ist jedoch ebenfalls nicht
unbegrenzt. Die Dauer des Schutzes ideeller Interesses des Persönlichkeitsrechts
hängt insbesondere von der Erinnerung und der Präsenz der Verstorbenen in der
Öffentlichkeit ab. In dem Maße, wie die Erinnerung an den Verstobenen verblasst,

schwindet der Schutz durch das postmortale Persönlichkeitsrecht. Eine über die
Schutzfrist hinausgehende Schutzwürdigkeit persönlichkeitsrechtlicher Belange der
Opfer muss in der Regel ausscheiden, da mit der in § 5 Abs. 2 BArchG geregelten
Schutzfrist (30 Jahre nach dem Tode der Betroffenen) ein angemessener Ausgleich
zwischen den Interessen der von den Inhalten von Archivgut betroffenen Personen
und dem Interesse an einer dauerhaften Erhaltung und Nutzung durch die
Öffentlichkeit geschaffen wurde.
Unabhängig davon erscheint es vorliegend allerdings bereits fraglich, inwiefern allein
die Namensnennung der Opfer eine Verletzung des (postmortalen)
Persönlichkeitsrechts darstellen kann, dient die Veröffentlichung der Namen der NS-
Opfer doch vor allem dem Ziel, die Würde und Achtung der Betroffenen in der
Öffentlichkeit wieder herzustellen sowie der Auseinandersetzung der Öffentlichkeit mit
den NS-Taten. Insbesondere handelt es sich bei der angestrebten Veröffentlichung
der Namen um keine ehrverletzende oder wahrheitswidrige Darstellung, die insofern
geeignet wäre, das postmortale Persönlichkeitsrecht der Opfer zu verletzen. Der
reinen Namensnennung ist zunächst allein die Information zu entnehmen, dass die
genannten Personen Opfer eines verbrecherischen Tötungsprogrammes, namentlich
der „Aktion T4“, geworden sind.
Die Veröffentlichung der Namen der Opfer der „Aktion T4“ erscheint gleichfalls auch
nicht aufgrund entgegenstehender schutzwürdiger Belange der Angehörigen als
Dritten im Sinne von § 5 Abs. 6 Nr. 2 BArchG als unzulässig. Zu den von § 5 Abs. 6
Nr. 2 BArchG erfassten Belangen Dritter zählen vorliegend auch Persönlichkeitsrechte
der Angehörigen der NS-Opfer.
Sofern daher allein – wie der Petition zu entnehmen ist – die Veröffentlichung der
Namen aller in der NS-Zeit „eingesperrten, deportierten und ermordeten Menschen,
die der „Aktion T4“ („unwertes Leben") zum Opfer gefallen sind" erstrebt wird, ist die
Gefahr einer Persönlichkeitsrechtsverletzung der Angehörigen auf Grundlage der
Stellungnahme der BfDI nicht ersichtlich.
Werden mit der Veröffentlichung der Namen jedoch weitere Informationen verknüpft
und erscheint eine Zuordnung der Angehörigen zu den Opfern und etwaigen erblichen
Krankheiten dementsprechend möglich, ist eine Veröffentlichung nur zulässig, sofern
die betroffenen Angehörigen eingewilligt haben.
Auch wenn lediglich die Namen der Opfer im Internet veröffentlicht werden, sollte die
Möglichkeit eines Missbrauches dieser Informationen durch Dritte so weit als technisch

möglich ausgeschlossen werden, so die BfDI in Ihrer Stellungnahme. Die Erstellung
und Publikation von Opferlisten mit (anderweitig beschafften) Hinweisen auf
Krankheitsgeschichten oder andere personenbezogene Informationen durch Dritte
sollte verhindert werden, damit die Opfer nicht noch einmal als Angehörige einer
vermeintlich lebensunwürdigen, weil lebensuntauglichen oder sozial devianten
Minderheit herabgewürdigt werden. Kopier- und Verknüpfungsmöglichkeiten sollten
deshalb z.B. durch die Darstellung von Namen und weiteren Daten als grafisches
Element so weit als möglich ausgeschlossen bzw. beschränkt werden. Auch die
Selektion und Auflistung von Opfernamen sollte so beschränkt werden, dass eine
eventuell automatisierte Abfrage von Namenslisten verhindert wird.
In ihrer ergänzenden Stellungnahme weist die BKM darauf hin, dass auf Grundlage
der datenschutzrechtlichen Hinweise der BfDI noch Fragen zur technischen
Umsetzung einer Onlinebereitstellung der Opfernamen und zur Einbeziehung
zusätzlicher Daten (z.B. Geburtsdaten), die über die reine Namensnennung
hinausgehen, klärungsbedürftig seien. Die BKM strebe weiterhin eine
datenschutzrechtlich zulässige und gleichzeitig benutzerfreundliche Lösung an.
Der Petitionsausschuss unterstützt grundsätzlich die Forderung der Petentin, mehr als
70 Jahre nach dem Ende der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft alle Namen der
Opfer zu nennen und den Zugang zu den Akten zu erleichtern. Gleichzeitig begrüßt
der Petitionsausschuss die Bemühungen der Bundesregierung, einen Ausgleich
zwischen den datenschutzrechtlichen Belangen der Opfer und deren Angehörigen und
dem Wunsch der Petentin nach einer möglichst umfassenden Veröffentlichung der
Namen der Betroffenen zu ermöglichen.
Das Anliegen der Petentin wird deshalb grundsätzlich vom Petitionsausschuss
befürwortet. Der Petitionsausschuss empfiehlt daher, die Petition der Bundesregierung
zur Erwägung zu überweisen, weil die Eingabe Anlass zu einem Ersuchen an die
Bundesregierung gibt, das Anliegen noch einmal zu überprüfen und nach
Möglichkeiten der Abhilfe zu suchen.

Begründung (PDF)


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