2025. 10. 23. 11:09
Zukunftsentscheid angenommen – doch Bürgerrechte bleiben auf der Strecke
Klage gegen Verkehrsversuch Rodigallee: Stadt bringt keine Argumente
Während Hamburg den Zukunftsentscheid feiert, erleben Bürger, Ärzte und Gewerbetreibende in Jenfeld die Kehrseite der politischen Realität: Wer Kritik äußert, wird juristisch ausgebremst.
Am 31. Juli 2025 reichten zehn Antragsteller – darunter Anwohner, Ärzte und ansässige Gewerbetreibende – vertreten durch die Kanzlei Klemm & Partner Rechtsanwälte, beim Verwaltungsgericht Hamburg einen Antrag auf einstweilige Anordnung gegen den geplanten Verkehrsversuch in der Rodigallee ein. Die Kläger werfen der Behörde für Verkehr und Mobilitätswende (BVM) schwerwiegende Sicherheitsmängel, mangelhafte Datengrundlagen und fehlende Umweltprüfungen vor.
Statt sich inhaltlich zu äußern, beauftragte Verkehrssenator Anjes Tjarks (Grüne) die Kanzlei GÖRG Partnerschaft von Rechtsanwälten mbB, die nun argumentiert, den Klägern fehle die Antragsbefugnis und das Rechtsschutzbedürfnis.
„Das ist ein Skandal“, meint Frank Hiemer: „Die Anwälte der Stadt sprechen mündigen Bürgern ab, überhaupt mündig zu sein. Eine inhaltliche Auseinandersetzung findet nicht statt – stattdessen versucht man, den Antrag formell abzubügeln.“ „Man trifft weitreichende Entscheidungen auf Basis unvollständiger oder veralteter Daten“, so Holger Neumann und weiter „das ist keine Mobilitätswende, das ist politische Symbolpolitik auf Kosten der Sicherheit.“
Planung ohne Daten, ohne Umweltprüfung, ohne Augenmaß
Die Bürgerinitiative bringt schwerwiegende Mängel an, die sowohl rechtlich als auch fachlich gegen die Umsetzung der Maßnahme sprechen:
1. Sicherheitsdefizite und fehlendes Sicherheitsaudit:
o Rückwärts über Bus- und Radspuren: Anwohner auf der Nordseite müssen künftig rückwärts über Bussonderstreifen, Fahrradstreifen und Fußweg ein- und ausfahren.
o Kein Überholen möglich: Stehen Fahrzeuge auf der Fahrbahn, kann stadtauswärts nur durch Gegenverkehr überholt werden – ein massives Unfallrisiko.
o Busse auf Radstreifen: Die BVM bezeichnet das Halten und Kreuzen von Bussen auf den Radstreifen im 5-Minuten-Hamburg-Takt als „konfliktstellenbefreit“ – und das auf einer der meistbefahrenen Busachsen Hamburgs. Die Rodigallee ist stadteinwärts bereits heute eine der zentralen Verbindungen aus Jenfeld und Marienthal Richtung Wandsbek und Innenstadt. Hier verkehren elf Buslinien, darunter die XpressBus-Linien X22, X35 und X11 sowie die HVV-Linien 10, 27, 261 und 263 – eine Belastung, die jeden Anspruch auf Konfliktfreiheit ad absurdum führt.
2. Beeinträchtigung des ÖPNV und der Leichtigkeit des Verkehrs: Die Maßnahme widerspricht den Anforderungen des § 45 Abs. 1 S. 2 Nr. 7 b StVO. Danach müssen Flächen für Rad- und Fußverkehr angemessen bereitgestellt werden, ohne dass der ÖPNV oder der motorisierte Verkehr unangemessen beschränkt wird.
3. Unzureichende Datengrundlage: Das Hamburger Verkehrsmodell kann weder zeitliche Verkehrsspitzen noch Quell- und Zielverkehre abbilden, außerdem berücksichtig es keine Verkehre außerhalb Hamburgs.
o Die MID 2017-Daten lagen zum Zeitpunkt der Prognose nicht vor.
o Erhebungen fehlen komplett für Gebiete wie Jenfeld (RISE-Gebiet) oder den Kreis Stormarn.
o Der Pendler- und Wirtschaftsverkehr (rund 30 % des Gesamtverkehrs) wurde nicht erhoben, sondern lediglich modellhaft berechnet.
Die Rodigallee ist eine zentrale Pendlerachse und dient als Entlastungsstrecke der A24 – insbesondere für Einpendler aus dem Kreis Stormarn.
4. Fehlende Umwelt- und Immissionsschutzuntersuchungen: Weder Lärmpegel noch Luftschadstoffe wurden ermittelt. Die wesentlich klimaschädlicheren Auswirkungen von Stopp-and-Go-Verkehr und zusätzlichen Bremsvorgängen blieben unberücksichtigt. Positive Effekte auf das Klima wurden nicht dargelegt – eine Bewertung, ob das Projekt seine eigenen Zielvorgaben erfüllt, fehlt vollständig.
Fragen, die sich jede Hamburgerin und jeder Hamburger nun stellen sollten:
• Ist die Rodigallee nicht eine wichtige Pendlerstrecke und ein Ventil für die A24?
• Entsteht dort insbesondere zu den Stoßzeiten Stau?
• Fühlen Sie sich auf einem Radstreifen sicher, auf dem Busse kreuzen oder halten?
• Ist ein kostspieliger Rückbau in Höhe von 51,5 Millionen Euro (Stand 2017) in dieser Form verhältnismäßig und sozial gerechtfertigt
Alternative: nachhaltige Verkehrslösung mit Weitblick
Die Initiative fordert eine nachhaltige und sichere Verkehrslösung, die auch das Umland einbezieht:
„Funktionierende Infrastruktur darf nicht ohne echte Alternative zurückgebaut werden“, so die Forderung der Bürgerinitiative. „Eine zukunftsfähige Lösung könnte eine Straßen- oder U-Bahn-Anbindung des Jenfelder Zentrums sein – mit Verbindungen über die Hamburger Landesgrenzen hinaus.“ Eine abgestimmte Verkehrsplanung mit den Nachbargemeinden wäre längst überfällig“, so die Antragsteller. „Eine echte Mobilitätswende braucht Verstand, nicht Ideologie", ergänzt Christian Paulsen.
Mail: initiative@rodigallee.com