Es ist Konsens in der Wissenschaftsgemeinde, dass der Aufenthalt in Innenräumen, über einen längeren Zeitraum hinweg und mit einer größeren Gruppe, das Infektionsrisiko erhöht. Nach den Sommerferien will das hessische Kultusministerium in allen Schulen wieder Unterricht mit vollen Klassenstärken stattfinden lassen, ohne Abstriche an der Stundentafel oder am Lehrplan. Die Abstandsregeln und die Verkleinerung der Gruppengrößen, die noch vor einigen Wochen gewährleisten sollten, dass sich niemand in der Schule ansteckt und mit denen gerechtfertigt wurde, weshalb Schülerinnen und Lehrerinnen im Unterricht keinen Mund-Nasen-Schutz zu tragen brauchen, sollen nach den Sommerferien wegfallen.
Die Verpflichtung zum Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes durch Lehrerinnen und Schülerinnen im Unterricht lehnen der Kultusminister mit dem Hinweis ab, Masken im Unterricht seien „pädagogisch grenzwertig“. Das ist nicht richtig: Denn Schüler*innen fühlen sich betroffen, schauen Nachrichten, haben Verwandte, die zu Risikogruppen gehören, und wissen, dass etwas nicht in Ordnung ist.
Wie sollen Lehrerinnen den Schülerinnen gegenüber begründen, dass sie keinen Mund-Nasen-Schutz tragen müssen, obwohl die Wirksamkeit erwiesen ist? Wie soll man erklären, dass Abstand nun nicht mehr wichtig ist? Wie sollen Lehrerinnen den Schülerinnen erklären, dass es in Ländern, die Schulen schon geöffnet haben, zu Ausbrüchen gekommen ist, die Schutzmaßnahmen in Hessen aber nicht mehr nötig sein sollen? Wie sollen man den Schüler*innen erklären, dass Infektionsketten nachvollziehbar sein müssen, dass jetzt vielleicht auf feste Lerngruppen verzichtet wird?
Kinder und Jugendliche erwarten in einer Krise, dass sie ehrlich informiert werden. Kinder und Jugendliche können lernen, sich an schwierige Situationen anzupassen, wenn man ihnen die Situation erklärt, wenn man auf ihre Fragen eingeht, wenn man ihnen die Möglichkeit gibt, selbst einen Beitrag zur Bewältigung der Situation zu leisten. Jugendliche, von denen erwartet wird, dass sie auf Partys verzichten und im Schulbus oder in der Schule auf dem Flur einen Mund-Nasen-Schutz tragen, werden nicht verstehen, weshalb sie sich an diese Regeln halten sollen, wenn sie im Unterricht keinen Mund-Nasen-Schutz tragen müssen. Wie sollen Lehrerinnen glaubwürdig vermitteln, dass ein Mund-Nasen-Schutz auf dem Solidaritätsprinzip beruht, weil man sich damit gegenseitig schützen kann, wenn diese Regel im Unterricht nicht gelten soll? Wie ist es zu erklären, dass in der Wirtschaft Arbeitsschutzgesetze gelten, aber für Lehrerinnen und Schülerinnen nicht? Schülerinnen und Lehrer*innen mit Vorerkrankungen oder nahen Angehörigen mit Vorerkrankungen werden nicht mehr am Präsenzunterricht teilnehmen können, wenn auf die entsprechenden Hygienemaßnahmen verzichtet wird.
https://voxeu.org/article/unmasked-effect-face-masks-spread-covid-https://doi.org/10.1016/j.jaerosci.2020.105617 https://www.tagesschau.de/ausland/israel-coronavirus-schulen-101.html